Französische Liquidationsverfahren: Haftung für Fehlbeträge
In einer von einer juristischen Person geführten und in Liquidation befindlichen SAS, kann die natürliche Person, die ihrerseits Geschäftsführerin der juristischen Person ist, nur dann für Liquidationsfehlbeträge haften (responsabilité pour insuffisance d’actifs), wenn sie die Eigenschaft eines ständigen Vertreters (représentant permanent) hat (Cass. com. 20-11-2024 Nr. 23-17.842 F-B).
Nach französischem Gesellschaftsrecht können, anders als in Deutschland, auch juristische Personen als Organ von Aktiengesellschaften (SA oder SAS) bestellt werden.
Reine Aktiengesellschaften (société anonyme) sind in diesem Fall verpflichtet, einen sog. ständigen Vertreter zu ernennen, der diese juristische Person im Rahmen ihrer geschäftsführenden Tätigkeit vertritt, wobei dieser Vertreter stets eine natürliche Person sein muss. Diese Verpflichtung wurde für vereinfachte Aktiengesellschaften (SAS) nicht vom Gesetzgeber übernommen, so dass diese keinen ständigen Vertreter ernennen müssen. Nach der französischen Rechtsprechung kann die Verpflichtung zur Bestellung eines ständigen Vertreters allerdings durch Satzungsbestimmungen der SAS vorgesehen werden.
In diesem Zusammenhang hat der französische Kassationsgerichtshof (Cour de cassation) klargestellt, dass die natürliche Person, die Geschäftsführerin einer juristischen Person ist, die selbst eine SAS leitet, welche sich in Liquidation befindet, nicht für Liquidationsfehlbeträge (insuffisance d’actifs) haftbar gemacht werden kann, solange sie nicht die Eigenschaft eines ständigen Vertreters (représentant permanent) hat.
Die Haftung für Liquidationsfehlbeträge gemäß Artikel L 651-2 des französischen Handelsgesetzbuches gilt laut Gesetz grundsätzlich nur für natürliche Personen, die zum ständigen Vertreter einer geschäftsführenden juristischen Person ernannt wurden (Art. L.651-1).
Dies bedeutet strenggenommen, dass wenn eine SAS durch eine juristische Person geleitet wird, die gemäß der Satzung dieser Gesellschaft rechtmäßig einen ständigen Vertreter bestellt hat, der Geschäftsführer dieser juristischen Person, nicht für Liquidationsfehlbeträge haftbar gemacht werden kann, da nur der ständige Vertreter haftet.
Laut bereits bestehender Rechtsprechung haftet jedoch der gesetzliche Vertreter der geschäftsführenden juristischen Person für Liquidationsfehlbeträge in Ermangelung eines ernannten ständigen Vertreters innerhalb der SAS in gerichtlicher Liquidation. (Cass. com. 13-12-2023no 21-14.579 F-B: RJDA 3/24no 177). Diese Rechtsprechung, die somit über den Wortlaut von Artikel L.651-1 des französischen Handelsgesetzbuches hinausgeht, entspricht jedoch dem Ziel dieses Textes: dadurch wird verhindert, dass eine natürliche Person ihrer Verantwortung entgeht, indem sie sich hinter dem Schirm der juristischen Person – die zum Geschäftsführer bestellt wurde – verbirgt.
Was ist, wenn dieser ständige Vertreter nicht der gesetzliche Vertreter der SAS ist? Kann auch dieser haftbar gemacht werden?
Eine gegenteilige Auslegung des oben genannten Urteils vom 13. Dezember 2023 ließ vermuten, dass dies nicht der Fall ist, da laut Kassationsgerichtshof der gesetzliche Vertreter der geschäftsführenden juristischen Person, für die Liquidationsfehlbeträge nur dann haftbar gemacht werden kann, „wenn es keine gesetzliche oder satzungsmäßige Verpflichtung gibt, einen ständigen Vertreter zu ernennen“.
Diese Auslegung wird vom Kassationsgerichtshof im vorliegenden Urteil aus 2024 bestätigt: Die Ernennung zum ständigen Vertreter gemäß einer Satzungsklausel einer anderen Person als der gesetzliche Vertreter schließt jegliche Haftung des gesetzlichen Vertreters für die Liquidationsfehlbeträge aus. Es sei denn natürlich, dass er sich wie ein faktischer Geschäftsführer der SAS verhalten hat (vgl. C. com. Art. L 651-2).
16.01.2025