Frankreich: Kündigungsklauseln in Franchiseverträgen können wirksam sein
Mit seinem wegweisenden Urteil vom 28. Februar 2024 hat der französische Kassationsgerichtshof festgestellt, dass eine vertragliche Klausel, die es dem Franchisegeber erlaubt, den Vertrag bei bestimmten Veränderungen des Kapitals oder der Geschäftsführung des Franchisenehmers zu kündigen (sog. Intuitu-Personae-Klausel), nicht allein deshalb unwirksam ist, weil sie einseitig ausgestaltet ist (Cass. com. 28.02.2024, Az. 22-10.314).
Mit dem Urteil des Kassationsgerichtshofes findet ein langjähriges Verfahren seinen Abschluss, welches mehrere praxisrelevante Rechtsfragen betraf. Die wichtigste davon ist sicherlich die Frage der Wirksamkeit der Vertragsklausel, die dem Franchisegeber bei jeglicher Veränderung der Gesellschafterstruktur des Franchisenehmers bzw. bei jeder Veränderung in seiner Geschäftsführung das Recht zur außerordentlichen Kündigung einräumte. Diese Frage ist von großer praktischer Bedeutung, da in Frankreich fast alle Franchiseverträge Klauseln enthalten, die allein den Franchisegeber zur Kündigung berechtigen.
Das Urteil der Vorinstanz (wir berichteten) hatte die streitgegenständliche Klausel auf der Grundlage von Artikel L. 442-1, I, Nr. 2 des frz. Handelsgesetzbuches für unwirksam erklärt, da das einseitige Kündigungsrecht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Franchisenehmers führe. Dieses Ergebnis hatte das Berufungsgericht im Wesentlichen mit der Einseitigkeit der Klausel begründet. Auch der Franchisenehmer habe ein Interesse daran, sich im Fall einer strukturellen Veränderung auf der Seite des Franchisegebers vom Vertrag lösen zu können.
Das Urteil des Berufungsgerichts wurde in der juristischen Literatur und von Seiten der Wirtschaft als verfehlt kritisiert. Es wurde hervorgehoben, dass es dem Franchisenehmer in der Regel auf die Qualität des Konzepts und die Anziehungskraft des Franchise-Systems ankomme, während ein Franchisegeber seine Franchisenehmer anhand von deren Persönlichkeit auswähle. Es sei praxisfern, eine Symmetrie bzw. Gegenseitigkeit der intuitu-personae-Klauseln zu verlangen.
Der Kassationsgerichtshof hat das Urteil der Vorinstanz nun zwar im Ergebnis bestätigt, dabei aber eine abweichende Begründung zugrunde gelegt.
Die Annahme der Unwirksamkeit gemäß Artikel L. 442-1, I, 2° des frz. Handelsgesetzbuches setzt zunächst voraus, dass die „Unterwerfung“ eines Geschäftspartners unter eine bestimmte Verpflichtung vorliegt. Mit dem Tatbestandsmerkmal der „Unterwerfung“, welches die Ausnutzung eines Machtgefälles beinhaltet, tun sich die Gerichte in der Praxis bisweilen schwer. Da die genauen Umstände des Vertragsschlusses oft nicht bekannt sind leiten sie die Unterwerfung meist aus Indizien ab. Im vorliegenden Fall hatte das Berufungsgericht eine Unterwerfung daraus geschlossen, dass (1.) das Franchise-System „Pizza Sprint“ sehr bekannt ist, (2.) der Franchisegeber gegenüber den Franchisenehmern eine dominante Stellung einnahm und (3.) mit den Franchisenehmern immer derselbe Mustervertrag geschlossen wurde, woraus das Gericht schloss, dass zwischen den Geschäftspartnern regelmäßig keine ernsthaften Verhandlungen über den Vertragsinhalt stattgefunden hatten. Der Kassationsgerichtshof hat diese Analyse des Berufungsgerichts bestätigt.
Auch in der Frage der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Klausel kommt der Kassationsgerichtshof zu demselben Ergebnis wie das Berufungsgericht. Entscheidend ist jedoch, dass er die Annahme des erheblichen Ungleichgewichts zulasten des Franchisenehmers auf eine andere Begründung stützt: Während das Berufungsgericht vor allem auf die Einseitigkeit der Klausel abgestellt hatte, und die Ungenauigkeit der Klausel nur am Rande erwähnt hatte, begründet der Kassationsgerichtshof dieses Ergebnis allein mit der uferlosen Abfassung der Klausel.
Nach der Klausel stand dem Franchisegeber ein Kündigungsrecht bei jeder Maßnahme des Franchisenehmers zu, die eine „Auswirkung“ (incidence) auf die Zusammensetzung dessen Gesellschaftskapitals oder seines größten Anteilseigners hat, oder zu einem Wechsel in seiner Geschäftsführung führt, und zwar unabhängig davon, ob diese Maßnahme dem Franchisegeber zum Nachteil gereicht. Die Klausel war nach Auffassung des Gerichts zu unpräzise und zu weit gefasst, was es dem Franchisegeber ermöglichte, den Vertrag fast nach Gutdünken zu kündigen.
Aus dieser Begründung des Kassationsgerichtshofes lässt sich schließen, dass ein außerordentliches Kündigungsrecht des Franchisegebers nur für den Fall erheblicher Änderungen aufseiten des Franchisenehmers vorgesehen werden kann (z. B. die Abberufung des ursprünglichen Geschäftsführers und/oder die Veräußerung einer Mehrheit der Anteile). Erfüllt die Intuitu-Personae-Klausel diese Voraussetzung, kann sie wohl einseitig abgefasst sein, ohne allein deswegen unwirksam zu sein.
Weiter wichtige Aspekte des Urteils des Kassationsgerichtshofes betreffen die Frage der Verjährung von Sanktionsmöglichkeiten des Wirtschaftsministers bei Wettbewerbsverstößen sowie die Frage, ob der Erwerber der Anteile des Franchisegebers zusammen mit dem Veräußerer der Anteile, für die vor der Veräußerung begonnenen und danach fortgesetzten Wettbewerbsverstöße des Franchisegebers haftet. Letztere Frage hat erhebliche Bedeutung für den Umfang einer Due-Diligence-Prüfung beim Unternehmenskauf.
16.04.2024