Haftungsbeschränkungen in französischen Verträgen nun auch für Dritte von Bedeutung
Der französische Kassationshof (sog. Cour de cassation) hat durch Urteil vom 03.07.2024 die weitreichende deliktische Haftung einer Vertragspartei für Schäden eines Dritten, die diesem aufgrund einer Vertragsverletzung entstanden sind, eingeschränkt (Urteil vom 03. Juli 2024, Az. 21-14.947).
Möchte ein geschädigter Dritter im Wege der deliktischen Haftung gegen eine Vertragspartei aufgrund einer Vertragsverletzung vorgehen (so wie es seit 2006 möglich ist), können ihm von nun an die Haftungsbedingungen und -beschränkungen aus dem Vertrag entgegengehalten werden, obgleich er diese nicht als Partei mitausgehandelt hat.
In dem vorgelegten Fall hatte eine auf die Herstellung bestimmter Maschinen spezialisierte Firma ein Unternehmen mit dem Abladen der von ihr nach Frankreich transportierten Maschinen vertraglich beauftragt. Die Haftung des Unternehmens wurde vertraglich beschränkt. Beim Abladen beschädigte ein Angestellter eine Maschine, wofür die geschädigte Firma eine Entschädigung durch ihre Versicherung erhielt. Die Versicherung (Dritter) macht sodann gerichtlich einen deliktischen Schadensersatzanspruch gegen das schädigende Unternehmen aufgrund des fehlerhaften Abtransports geltend. Der französische Kassationshof verneinte den Anspruch der Versicherung, da die Haftungsbeschränkungen aus dem Vertrag auch für sie als Dritten gelten würden.
Änderung der Rechtslage
Die Bedeutung dieses Urteils der Wirtschaftskammer der Cour de cassation (sog. Chambre commerciale, financière et économique) wird deutlich unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtslage in Frankreich.
Im Jahre 2006 entschied der Kassationshof (Urteil vom 6. Oktober 2006, Az. 05-13.255) in einem kontrovers diskutierten Urteil, dass sich eine Vertragspartei deliktischen Ansprüchen Dritter ausgesetzt sehen kann, sofern die eigene Vertragsverletzung bei dem Dritten zu einem Schaden geführt hat. Weiter entschied das Gericht, dass der Dritte zur Geltendmachung deliktischer Ansprüche lediglich zu beweisen hat, dass sein Schaden ursächlich auf eine Nichterfüllung des Vertrages oder auf eine Schlechtleistung zurückzuführen ist. Einer zusätzlichen Pflichtverletzung der Vertragspartei gegenüber dem Dritten bedarf es dann für dessen deliktische Haftung nicht (Urteil vom 13. Januar 2020, Az. 17-19.963).
Dies führte bisher dazu, dass sich der Schuldner neben Ansprüchen seines Vertragspartners potenziell auch sehr schnell mit umfassenden Ansprüchen Dritter konfrontiert sah. Vertragliche Haftungsbeschränkungen konnte der Schuldner lediglich seinem Vertragspartner entgegenhalten – nicht aber dem Dritten; obwohl sich beide in der Sache auf ein- und dieselbe vertragliche Pflichtverletzung des Schuldners stützten.
Die Begründung der Cour de cassation
Diese für den Schuldner unbillige Situation besteht von nun an mit dem Urteil vom 03. Juli 2024 nicht mehr. Das Gericht führte als Begründung zum einen den Schutz des Schuldners an, welcher dem Abschluss des Vertrages, auf dessen Verletzung der Dritte seinen Anspruch stützt, gerade auch im Vertrauen auf die vereinbarten Haftungsbedingungen zugestimmt hat. Zum anderen soll es keine haftungsrechtliche Bevorzugung des Dritten gegenüber dem ebenfalls geschädigten Vertragspartner mehr geben.
Der Kassationshof verwarf das Urteil des Berufungsgerichts Paris, das der geschädigten Versicherung zunächst einen Schadensersatzanspruch mit der Begründung zugesprochen hatte, dass die vertraglichen Haftungsbeschränkungen ihr nicht entgegengehalten werden könnten. Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzte nach Ansicht des Kassationshofs die Artikel 1134, 1165 des französischen Zivilgesetzbuchs (in der bis zum 01. Oktober 2016 gültigen Fassung) und des (alten) Artikel 1382 des französischen Zivilgesetzbuchs (heute Art. 1240 des französischen Zivilgesetzbuchs).
Angesichts der bisher sehr umfassenden Haftungsrisiken, die aus den genannten Rechtsprechungen der Jahre 2006 und 2020 resultierten, ist diese Entscheidung vor dem Hintergrund des Schuldnerschutzes von großer Bedeutung.
Bedeutung in der Praxis
- In der Praxis wird die Bedeutung von Haftungsbeschränkungen in französischen Verträgen weiter zunehmen. Für die Vertragsparteien wird es entscheidend sein, umfassende und wirksame Haftungsbeschränkungen in den Vertrag aufzunehmen, um diese gegebenenfalls einem durch sie geschädigten Dritten entgegenhalten zu können.
- Für den geschädigten Dritten bringt die neue Rechtsprechung jedoch Rechtsunsicherheit im Einzelfall mit sich. Konnte der Dritte früher, sobald er durch eine Vertragsverletzung einen kausalen Schaden erlitt, einen deliktischen Schadensersatzanspruch unter wenigen Voraussetzungen durchsetzen, so gelten für ihn nun unbekannte Vertragsbedingungen, die seinen Anspruch einschränken können. Auch wird den Dritten vor Klageerhebung die praktische Schwierigkeit treffen, sich zunächst Kenntnis von dem Vertragsinhalt zu verschaffen, um die Erfolgsaussichten seiner Klage im Hinblick auf Bestehen und Wirksamkeit etwaiger Haftungsbeschränkungen zu prüfen.
Grundsätzlich muss ein Dritter mit folgenden möglichen Haftungsbeschränkungen rechnen, die im französischen Recht wirksam vereinbart werden können:
- Ausschluss der Haftung für eine bestimmte Pflichtverletzung oder eine bestimmte Art von Schaden;
- Zeitliche Haftungsbeschränkungen, z. B. Haftungsbeginn ab einem bestimmten Zeitpunkt;
- Haftungsbeschränkung der Höhe nach.
Zu beachten gilt allerdings, dass bei Verträgen in speziellen Rechtsgebieten wie dem Wettbewerbsrecht, Verbraucherrecht und Beförderungsrecht besondere rechtliche Vorgaben für Haftungsbeschränkungen gelten.
Mit umfassendem Schadensersatz kann ein geschädigter Dritter außerdem weiter bei kausalen Vertragsverletzungen in den Bereichen Hotellerie, Bauwesen und bei öffentlichen Versteigerungen rechnen, da Haftungsbeschränkungen in entsprechenden französischen Verträgen ohnehin gesetzlich verboten sind und sich der Schuldner mithin nicht auf sie berufen kann.
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Dieser Artikel wurde von Mélanie Allemand in Zusammenarbeit mit unserer Referendarin Julia de Fries verfasst.
15.07.2024