Aktualisierung der IBA-rules zu Interessenkonflikten in Schiedsverfahren
Ob bei der Schiedsrichterauswahl als Parteivertreter in internationalen Schiedsverfahren oder bei der Entscheidung darüber, selbst ein Schiedsrichtermandat anzunehmen – ohne die Frage nach einem eventuellen Interessenkonflikt lässt sich ein Schiedsverfahren selten beginnen.
Nicht nur die französische Rechtsprechung[1] hat sich in letzter Zeit mit der Thematik auseinandergesetzt, auch die International Bar Association (IBA) hat Anfang dieses Jahres eine Überarbeitung ihrer Guidelines on Conflicts of Interest in International Arbitration (im Folgenden: IBA-rules) veröffentlicht.
Das IBA-Regelungswerk zu Interessenkonflikten wird international von nahezu allen Schiedspraktikern anerkannt und von vielen Gerichten als Rahmen für die beste Praxis bei Interessenkonflikten in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit herangezogen.
Das Regelungswerk wurde erstmals im Jahr 2004 veröffentlicht. Die 2014 veröffentlichte Aktualisierung stellt eine Weiterentwicklung des bestehenden Rahmens dar und unterscheidet sich nicht wesentlich von der Ausgabe aus dem Jahr 2004. Auch die jüngste Aktualisierung enthält einige wichtige Änderungen, weicht aber nicht vollständig von der Fassung aus dem Jahr 2014 ab.
Das IBA-Regelungswerk zu Interessenkonflikten hat seine grundsätzliche Struktur beibehalten. Teil Eins des Regelungswerkes legt sieben generelle Standards zur Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Offenbarung möglicher Interessenkonflikte durch den Schiedsrichter fest (I). Teil Zwei behandelt Situationen, die in der internationalen Schiedsgerichtbarkeit regelmäßig auftreten und eine Gefahr für die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Schiedsrichters darstellen können (II).
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Allgemeine Standards
Wie zuvor die IBA-rules aus dem Jahr 2014 legt der Allgemeine Standard 1 grundlegend fest, dass jeder Schiedsrichter ab Zeitpunkt seiner Ernennung bis Ausspruch des Schiedsspruchs unparteiisch und von den Parteien unabhängig sein müsse. Im Vergleich zu der zehn Jahre alten Vorgängerversion besteht die dem Schiedsrichter auferlegte Verpflichtung allerdings nicht mehr für die Zeit nach Ausspruch des Schiedsspruchs bis Eintritt seiner Unanfechtbarkeit.
Der Allgemeine Standard 2, dessen Wortlaut in der neuen Version der IBA-rules ebenfalls beibehalten wurde, bestimmt, dass jeder Schiedsrichter, sofern er Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit hat, sein Amt ablehnen oder niederlegen solle. Die gleiche Regelung solle gelten, wenn im Laufe des Verfahrens Tatsachen oder Umstände einen berechtigten Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit eines Schiedsrichter begründen. Ob dies der Fall sei, muss nach Art. 2 (b) IBA-rules durch die Überprüfung aus der Sicht einer objektiven dritten Person, die Kenntnis aller relevanten Tatsachen und Umstände hat, erfolgen. Wann begründete Zweifel konkret gegeben sein können, kann aus der sog. Non-Waivable Red List (Unverzichtbare rote Liste) entnommen werden. Zusätzlich müsse ein Schiedsrichter, wenn Umstände vorliegen, die in der Waivable Red List (Rote Verzichtsliste) genannt sind, diese offenlegen.
Die Offenlegung von Tatsachen und Umständen, die den Zweifel der Parteilichkeit oder Beeinflussbarkeit des Schiedsrichters begründen können, ist nach dem Allgemeinen Standard 3 durch den Schiedsrichter selbst unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Tatsachen und Umstände vorzunehmen. Statt der Offenlegung kann auch eine Ablehnung oder der Rücktritt des Schiedsrichters von seinem Amt erforderlich sein, sofern die Offenlegung aufgrund von Berufsgeheimnisvorschriften, anderer Regeln der Berufsausübung oder des beruflichen Verhaltens dies erfordern. Außerdem stellt der Allgemeine Standard 3 klar, dass das Versäumnis einer Offenlegung nicht zwingend einen Interessenkonflikt oder den Ausschluss des Schiedsrichters bedeuten müsse.
Der Allgemeine Standard 4 legt den Verzicht der Parteien fest, sich auf den Einwand des Interessenkonfliktes zu berufen. Eine Partei kann diesen Einwand 30 Tage nach Offenlegung im Sinne des Allgemeinen Standards 3 oder ihrer Kenntniserlangung von Tatsachen oder Umständen, die einen Zweifel der Parteilichkeit bzw. Abhängigkeit begründen, nicht mehr erheben. Dabei fingieren die neuen IBA-rules eine entsprechende Kenntniserlangung einer Partei, sofern diese bei einer angemessenen Nachforschung zu Beginn oder während des Verfahrens Kenntnis von Tatsachen oder Umständen, die einen Zweifel begründen, hätte erlangen können.
Der Allgemeine Standard 6 stellt fest, dass jeder Schiedsrichter die Kanzlei oder den Arbeitgeber, beispielsweise ein Unternehmen, für das er tätig ist, nach außen repräsentiert, d. h. ihre / seine Identität trägt. Wenn fraglich ist, ob diese Beziehung zwischen dem Schiedsrichter und seinem Arbeitgeber möglicherweise eine Tatsache oder ein Umstand sei, der Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen lassen kann, sei aber der Einzelfall entscheidend. Insbesondere bedeutet die Tatsache, dass die Tätigkeit des Arbeitgebers (Kanzlei, Unternehmen o. a.) eine am Schiedsstreit beteiligte Partei betrifft, nicht zwingend einen Interessenkonflikt. Der Standard 6 bestimmt außerdem, dass es für die Frage, ob eine Einrichtung parteifähig sei, darauf ankomme, ob diese als Drittgeldgeber oder Versicherer ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse an der Verfolgung oder Verteidigung des Falles habe. Ebenso ist bei der Beteiligung der Muttergesellschaft oder natürlichen Person an einem Schiedsverfahren zu beachten, dass die Tochtergesellschaft oder das verbundene Unternehmen als identisch anzusehen seien, sodass ggf. ein Interessenkonflikt, der gegen die Beteiligung spreche, vorliegen könne. Für die Frage, ob ein Staat an einem Schiedsverfahren beteiligt werden kann und ob ggf. ein Interessenkonflikt im Hinblick auf eine Partei besteht, ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen.
Zusätzlich legt der Allgemeine Standard 7 fest, wann eine am Schiedsstreit beteiligte Partei gewisse Tatsachen gegenüber dem Schiedsrichter offenlegen muss, da diese ggf. einen Interessenkonflikt provozieren können. Zu diesen Tatsachen zählt u. a. die direkte oder indirekte Beziehung der Partei zum Schiedsrichter und jeder anderen am Schiedsprozess beteiligten Person oder Einrichtung, die der Schiedsrichter im Rahmen einer Offenlegung nach dem Allgemeinen Standard 3i berücksichtigen sollte. Hierzu zählen zum Beispiel Sachverständige, die am Schiedsstreit beteiligt sind und mit denen der Schiedsrichter eine mittelbare oder unmittelbare Beziehung hatte.
Auch ist die IBA-rules mit weiteren Personen, die eine konfliktreiche Beziehung zum Schiedsrichter haben könnten, ergänzt worden. Hier nennen die IBA-rules zum Beispiel Stellen, die am Ausgang des Schiedsverfahrens ein wirtschaftliches Interesse haben könnten oder für den Fall des Unterliegens die unterlegene Partei entschädigen müssten. Außerdem ergänzen die neuen IBA-rules, dass eine Partei, die eine Offenlegung durch den Schiedsrichter anstrebt, diesem eine Liste mit Informationen zu der Beziehung der Person oder Einheit zum Rechtsstreit übermitteln solle.
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Anwendung der Standards
Teil 2 der IBA-rules enthält eine Auflistung von praktischen Beispielen, aus denen sich die Unparteilichkeit oder Abhängigkeit eines Schiedsrichters, und somit ggf. ein Interessenkonflikt ergeben kann. Dieser Teil der IBA-rules funktioniert wie ein Ampelsystem. Es wird zwischen vier Farben, bzw. vier Stufen unterschieden. Auf der ersten Stufe steht die „Non-Waivable Red List“, d. h. die unverzichtbare rote Liste, auf zweiter Stufe die „Waivable Red List“, auf der dritten Stufe die „Orange List“ und auf der vierten die „Green List“.
Die dort genannten Beispiele sind anhand ihrer Wahrscheinlichkeit einen berechtigten Zweifel an der Unparteilichkeit oder Abhängigkeit des Schiedsrichters hervorzurufen, eingeteilt. Im Rahmen dieser Einteilung sind die auf der „Non-Waivable-Red List“ stehenden Gründe solche, die am wahrscheinlichsten, im Vergleich zu allen anderen praktischen Beispielen, einen begründeten Zweifel hervorrufen können. Die beiden roten und die grüne Liste haben mit den neuen IBA-rules von 2024 keine großen Neuerungen erfahren. Dahingegen sind mehrere neue praktische Gründe auf der orangenen Liste hinzugekommen. Hierzu zählen beispielsweise Fälle, in denen der Schiedsrichter gegenwärtig oder in den letzten drei Jahren als Sachverständiger für eine der Parteien oder ein verbundenes Unternehmen einer der Parteien tätig war, ohne dass der betroffene Fall zu dem Schiedsstreit in einer Beziehung stehen muss. Ein weiterer, neu aufgeführter Fall liegt u. a. vor, wenn der Schiedsrichter in den letzten drei Jahren von demselben Anwalt, der am Schiedsverfahren beteiligt ist, als Sachverständiger bestellt wurde. Alle in Teil 2 der IBA-rules aufgeführten Listen sind nicht abschließend und stellen lediglich Beispiele dar.
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Fazit
Ein Vergleich der IBA-rules von 2014 zu 2024 zeigt, dass das Komitee der IBA nur leichte Veränderungen vorgenommen hat.
Generell wurden die IBA-rules im Hinblick auf die moderne Schiedspraxis aktualisiert, z. B. im Hinblick auf die zunehmende Finanzierung von Schiedsverfahren durch Dritte, die zunehmende Bedeutung von Sachverständigen und Sachverständigenbeweisen und die Berücksichtigung der neuesten Rechtsprechung.
Dennoch können die IBA-rules im Bereich des Soft Laws aufgrund ihrer hohen Anerkennung durch die internationale Rechtsgemeinschaft eine Richtung vorgeben, um Schiedsverfahren fairer und transparenter zu gestalten.
[1] Cour de cassation, première chambre civile, 27 janvier 2016, n°15-12.363.
13.05.2024