Covid-19: Der französische Kassationsgerichtshof entscheidet zugunsten der Gewerbevermieter
In drei Urteilen vom 30. Juni 2022 hat der französische Kassationshof entschieden, dass gewerbliche Mieten auch während der Zeiträume zu zahlen sind, in denen das Geschäftslokal aufgrund einer behördlichen Entscheidung in Bezug auf die Coronakrise geschlossen bleiben musste.
Der Hintergrund war folgender: Im Rahmen der Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung der Pandemie setzte die französische Regierung im März 2020 den Beschluss durch, woraufhin gewisse nicht-essenzielle Gewerbe (z. B. Reisebüros, Immobilienmakler, Läden ohne Lebensmittelprodukte, etc.) keine Kunden mehr in ihren Geschäftsräumen empfangen durften (betroffene Zeiträume: März - Mai 2020, Oktober - November 2020 und Februar - April 2021).
Dies hatte Umsatzeinbußen für die betroffenen Geschäfte zur Folge, bei gleichbleibenden fixen Kosten (Miete, Versicherungen etc.).
Zahlreiche Mieter konnten aufgrund von Liquiditätsengpässen ihrer Mietzahlungspflicht nicht mehr nachkommen, andere sahen sich dieser Pflicht aus unterschiedlichen Gründen, die wir im Folgenden erläutern werden, enthoben und setzten die Zahlung aus.
Es stellten sich folgende Fragen:
- Sind Mieter, die von diesem Regierungsbeschluss (Verbot von Publikumsverkehr in den Ladenräumen nicht-essenzieller Geschäfte) betroffen sind, von der Mietzahlungspflicht für die betroffenen Zeiträume tatsächlich befreit?
- Haben Vermieter, deren Mieter ihrer Mietzahlungspflicht nicht nachgekommen sind, die Möglichkeit diese auf Nachzahlung zu verklagen?
Die einseitige Aussetzung der Mietzahlungen zog zahlreiche Gerichtsverfahren von Seiten der Vermieter nach sich.
Die Mieter argumentierten hauptsächlich auf Basis der nachfolgend erläuterten Grundsätze, die vom Kassationsgerichtshof in drei Urteilen vom 30. Juni 2022 (Nr. 21-20.190, Nr. 21-20.127 und Nr. 21-19.889) abgewiesen wurden:
1. Nichterfüllungseinrede (Art. 1219 Code civil):
a) Mieter
- Eine Vertragspartei kann es verweigern ihrer aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtung nachzukommen, wenn die andere Vertragspartei ihrer Verpflichtung nicht nachkommt und wenn diese Nichterfüllung ausreichend schwerwiegend ist.
b) Kassationsgerichtshof
- Das Verbot Publikum zu empfangen, stellt an sich keine Nichterfüllung statt, da dem Mieter die Räumlichkeiten vom Vermieter nichtdestotrotz zur Verfügung gestellt werden und die Unmöglichkeit der Nutzung auf die Regierung zurück geht (behördliche Schließung) und keinerlei Verbindung zu dem Mietobjekt besteht.
- Die Lieferpflicht schließt nicht die Sicherung der ständigen Zugänglichkeit der gemieteten Räumlichkeiten ein.
- Eine Verwaltungsmaßnahme kann nicht den Vermietern zugerechnet werden.
2. Verlust der gemieteten Räumlichkeiten (Art.1722 Code civil):
a) Mieter
- Wird während der Laufzeit des Mietvertrags der gesamte Mietgegenstand durch zufällige Umstände endgültig zerstört, so wird der Mietvertrag automatisch aufgelöst; wird der Mietgegenstand teilweise zerstört, so kann der Mieter eine Minderung des Preises oder die Auflösung des Mietvertrags verlangen.
b) Kassationsgerichtshof
- Dieser Verlust der gemieteten Räumlichkeiten kann darin bestehen, dass der Mieter das gemietete Objekt nicht vollständig nutzen kann.
- Doch war hier die Verwaltungsmaßnahme zeitlich begrenzt und es bestand keinerlei sachliche Verbindung zwischen ihr und dem Mietobjekt, sie kann aus diesem Grund auch nicht mit einem Verlust der gemieteten Räumlichkeit gleichgesetzt werden.
3. Höhere Gewalt (Art. 1218 Code civil):
a) Mieter
- Höhere Gewalt im Vertragsrecht liegt vor, wenn ein Ereignis, das sich der Kontrolle des Schuldners entzieht ("von außen"), das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses angemessenerweise nicht vorhersehbar war ("unvorhersehbar") und dessen Auswirkungen nicht durch geeignete Maßnahmen verhindert werden können ("unwiderstehlich"), die Erfüllung der Verpflichtung durch den Schuldner verhindert. Wenn das Hindernis vorübergehend ist, wird die Erfüllung der Verpflichtung ausgesetzt, es sei denn, die daraus resultierende Verzögerung rechtfertigt die Auflösung des Vertrags.
b) Kassationsgerichtshof
- Der Grundsatz der höheren Gewalt ist nicht auf die Zahlung einer Geldsumme anwendbar.
- Die Partei eines Vertrages, die aufgrund höherer Gewalt nicht in der Lage war, die von ihr bezahlte Leistung in Anspruch zu nehmen, kann nicht unter Berufung auf dieses Ereignis die Aufhebung des Vertrages erreichen.
- Nur weil eine Person die Gegenleistung, auf die sie Anspruch hat, nicht erhält, kann sie sich nicht auf höhere Gewalt berufen, um ihre eigene Verpflichtung vorübergehend oder dauerhaft auszusetzen.
Zusammenfassung:
- Der Vermieter hat seine Pflicht zur Bereitstellung der Mietssache in den Zeiträumen, in denen die nicht-essenziellen Geschäfte per Regierungserlass geschlossen wurden, nicht verletzt, auch wenn der Mieter seine Geschäftstätigkeit nicht ausüben konnte.
- Die Mieter können sich nicht auf höhere Gewalt berufen und sind daher nicht berechtigt, die Beendigung des Vertrags oder seine Aussetzung zu verlangen.
- Die behördliche Schließung von Geschäften kann nicht mit einem Verlust der Sache im Sinne von Artikel 1722 Code civil gleichgesetzt werden.
- Die Verpflichtung zur Zahlung der Mieten wurde nicht ernsthaft bestritten, so dass der Richter für einstweilige Verfügungen den Mieter zur Zahlung der Rückstände verurteilen konnte
18.11.2022