Entscheidung des EuGH: Neue Informationspflicht des Online-Händlers bezüglich Herstellergarantie
Muss ein Online-Händler, der auf einem Online-Marketplace von ihm nicht hergestellte Waren anbietet, den Verbraucher auf eine etwaig bestehende Händlergarantie vorvertraglich hinweisen?
Diese Frage beschäftigte jüngst den Europäische Gerichtshof (EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens des deutschen Bundesgerichtshofs vom 05. Mai 2022 (Nr. C-179/21 Victorinox).
- Kontext
- Vorvertragliche Informationspflicht bei berechtigtem Interesse des Verbrauchers
- Wann hat die Information zur Herstellergarantie Entscheidungsrelevanz für den Verbraucher?
- Welche konkreten Informationen hat der Online-Händler bereitzustellen?
- Auswirkungen der Entscheidung anhand des Beispiels von Frankreich
Dem vorliegenden Verfahren lag ein relativ klassischer Streitfall zugrunde: ein Unternehmer bot auf dem Amazon Marketplace Taschenmesser des Herstellers Victorinox an. Informationen zu einer Händler- und/oder Herstellergarantie enthielt die Angebotsseite nicht. Unter der Rubrik „Weitere technische Informationen“ bestand lediglich die Möglichkeit, auf ein seitens des Herstellers formuliertes Informationsblatt die Ware betreffend zuzugreifen.
Ein Konkurrenzunternehmen der Händlerin reichte daraufhin Klage auf Unterlassung solcher Angebote ein mit der Begründung, diese enthielten keine ausreichenden Informationen zu einer bestehenden Herstellergarantie.
Der mit der Sache befasste Bundesgerichtshof war sich über das Bestehen und dem daraus resultierenden Umfang einer solchen streitgegenständlichen Informationspflicht des Online-Händlers im Zweifel und legte die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vor. Es ging insbesondere um die Verbraucherrechterichtlinie (Dir. 2011/83/EU, 25. Okt. 2011) und deren Auslegung.
Da sich in dieser Sache gewichtige Schutzgüter der Rechtsordnung gegenüberstehen – Verbraucherschutz einerseits und Wettbewerbsfähigkeit der Händler andererseits – verwundert es nicht, dass der Gerichtshof die Frage nicht schlicht mit Ja oder Nein beantwortet hat.
Maßgeblich ist also, ob die Informationen zur Herstellergarantie für den Verbraucher derart grundlegende Informationen darstellen, dass er sich ohne Vorliegen dieser weder für noch gegen den Vertragsschluss zu entscheiden vermag. Mit anderen Worten: Die Herstellergarantie muss für den Verbraucher entscheidungsrelevant sein. Ist ein berechtigtes Interesse des Verbrauchers an den streitgegenständlichen Informationen zu verneinen, besteht für den Online-Händler keine Pflicht zum Bereitstellen dieser Informationen.
Der Gerichtshof trägt mit dieser Differenzierung dem Umstand Rechnung, dass eine Bereitstellung dieser vorvertraglichen Informationen mit einem nicht unerheblichen Aufwand seitens des Online-Händlers einhergeht, muss dieser doch die Informationen sowohl zusammentragen als auch bei Bedarf aktualisieren. Eine Ausgestaltung dessen als unbedingte Pflicht des Online-Händlers hält der Gerichtshof daher für unverhältnismäßig, zumal zwischen Händler und Hersteller nicht notwendigerweise eine unmittelbare vertragliche Beziehung besteht, aus welcher der Händler seinerseits die erforderlichen Informationen abfragen könnte.
Ob die Herstellergarantie Teil der Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers ist – welche wiederum dessen berechtigtes Interesse begründet – richtet sich danach, ob diese vom Händler im Rahmen des Angebots aufgegriffen wird.
So gilt die Herstellergarantie für den Verbraucher als entscheidungsrelevant, wenn der Händler sie als zentrales oder entscheidendes Merkmal seines Angebots nutzt, etwa um die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität des Angebots zu steigern. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Herstellergarantie ausdrücklich als Verkaufs- und Werbeargument herangezogen wird.
Maßgeblich in diesem Zusammenhang sind also:
- Der Inhalt und die Gestaltung des Angebots;
- Die Bedeutung der Erwähnung der Herstellergarantie als Verkaufs- und Werbeargument;
- die Positionierung der Erwähnung der Herstellergarantie im Angebot sowie
- eine etwaige Gefahr des Irrtums oder der Verwechslung hinsichtlich unterschiedlicher Garantierechte oder der Identität des Garantiegebers am Maßstab des Durchschnittsverbrauchers.
Hat der Verbraucher ein berechtigtes Interesse an Informationen zur Herstellergarantie, muss der Online-Händler ihn zunächst über die Bedingungen für die Anwendung aufklären.
Hierzu gehören folgende Angaben:
- Inanspruchnahme der jeweiligen Garantie;
- Inhalt der eingeräumten Garantie;
- Dauer der Garantie;
- räumlichen Geltungsbereich der Garantie;
- Reparaturort bei Beschädigungen;
- mögliche Garantiebeschränkungen sowie
- Namen und Anschrift des Garantiegebers.
Maßgeblich sind auch in diesem Zusammenhang die Umstände des Einzelfalls.
In Frankreich mussten bis jetzt gewerbliche Verkäufer nach dem geltenden Verbraucherrecht bereits Pflichtangaben in ihren Kaufverträgen, insbesondere in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, zu beachten. In Bezug auf die Angaben zu den Garantien ist es für den Verkäufer zwingend erforderlich, die Existenz, die Bedingungen für die Inanspruchnahme und den Inhalt der gesetzlichen Konformitätsgarantie[1] (sog. „garantie légale de conformité“) und der Garantie für Mängel der verkauften Sache[2] (sog. „garantie relative aux défauts de la chose vendue“), die er dem Käufer garantieren muss, zu erwähnen.
Darüber hinaus muss ggf. die Existenz einer kommerziellen bzw. vertraglichen Garantie oder eines Kundendienstes zwingend angegeben werden. Es soll auch klargestellt werden, dass der Verbraucher frei zwischen der einen oder anderen Garantie wählen kann.
Nach dem derzeitigen Stand des französischen Rechts war der Verkäufer allerdings nicht verpflichtet, die vom Hersteller bereitgestellten Garantien in seiner Anzeige anzugeben.
Französische Verkäufer müssen also nun Verbraucher auch über die Garantien der Anbieter informieren, wenn dieser Punkt ein zentrales oder entscheidendes Element ihres Angebots ist.
Praxistipp :
- Achten Sie als Verkäufer auf die Formulierung Ihrer Angebote, in denen Sie die Garantien Ihrer Hersteller angeben müssen, wenn es sie zu einem zentralen oder entscheidenden Merkmal seines Angebots machen;
- Lassen Sie sich juristisch beraten, wenn Sie sich bei der Formulierung Ihrer Geschäftsangebote unsicher sind!
[2] Artikel 1641 ff. des französischen Zivilgesetzbuchs.
19.05.2022