Fernabsatz: Laut französischer Verbraucherschutzbehörde besteht kein Widerrufsrecht bei Erhalt mangelhafter Ware
Sowohl das deutsche als auch das französische Recht räumen Verbrauchern ein Widerrufsrecht ein, falls diese bei einem Unternehmer im Wege des Fernabsatzes (z.B. im Internethandel) Waren erwerben (L.121-21 Code de consommation bzw. §§ 355 f. BGB). Dieses Widerrufsrecht entstammt Artikel 9 der europäischen Verbraucherrechtrichtlinie Nr. 2011/83/EU vom 25. Oktober 2011.
Fraglich ist, ob es sich auf das Widerrufsrecht des Verbrauchers auswirkt, falls die dem Verbraucher gelieferte Ware mangelhaft ist. In diesem Fall kommen außer dem Widerrufsrecht auch Gewährleistungsansprüche in Betracht.
In Deutschland ist anerkannt, dass der Verbraucher bei Erhalt mangelhafter Ware wählen kann, ob er den Widerruf erklärt oder eine Mängelrüge erhebt. Der Widerruf hat den Vorteil, dass er ohne Begründung möglich ist, während die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen den Vorteil hat, dass sie auch noch nach Ablauf der Widerrufsfrist erhoben werden kann. Beim Widerruf sind die empfangenen Leistungen stets zurück zu gewähren. Im Rahmen der Gewährleistung ist vorrangig Nacherfüllung zu verlangen. Schlägt diese fehl, kann Minderung des Kaufpreises, Schadensersatz und/oder Rücktritt vom Vertrag geltend gemacht werden.
Mit Bekanntmachung vom 10.07.2015 vertritt die französische Behörde für Wettbewerb, Verbraucherangelegenheiten und zur Bekämpfung von Betrugsfällen (DGCCRF) eine von der deutschen Rechtslage abweichende Auffassung. Danach kann der Verbraucher bei Erhalt mangelhafter Ware ausschließlich Gewährleistungsansprüche geltend machen. Ein Widerruf soll in diesem Fall nicht möglich sein.
Die Behörde begründet ihre Ansicht damit, dass die Ausübung des Widerrufsrechts nur dann in Betracht komme, falls die Ware in einwandfreiem Zustand zurückgegeben werden kann. Dies sei bei mangelhafter Ware aber nicht möglich. Daher könne ein Händler zu Recht die Rückerstattung des Kaufpreises einer vom Verbraucher zurückgesandten, anfänglich mangelhaften Ware verweigern. Die Behörde weist darauf hin, dass der Verbraucher gemäß Art. L.211-10 Verbrauchergesetzbuch den Rücktritt vom Vertrag erklären kann, falls die Nacherfüllung nicht innerhalb eines Monats möglich ist. Im eigenen Interesse des Verbrauchers sind daher nach Ansicht der DGCCRF in diesem Fall allein Gewährleistungsansprüche einschlägig.
Meines Erachtens ist die von der französischen DGCCRF vertretene Ansicht falsch. Die Verbraucherrechtrichtlinie sieht nicht vor, dass das Widerrufsrecht des Verbrauchers nur bei Lieferung mangelfreier Ware besteht. Ein Vorrang der Gewährleistungsansprüche vor dem Widerrufsrecht ist europarechtlich nicht vorgesehen. Aus Erwägungsgrund 47 der Richtlinie ergibt sich, dass sogar bei einer Beschädigung der Ware durch den Verbraucher selbst das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen ist. Der Verbraucher ist in einem solchen Fall lediglich zum Ersatz der Wertminderung verpflichtet. Die von der DGCCRF vertretene Ansicht läuft also auf eine europarechtlich unzulässige Einschränkung des Widerrufsrechts hinaus.
Eine andere Frage ist natürlich, ob es für den Verbraucher in manchen Fällen vorteilhafter ist, bei Erhalt mangelhafter Ware seine Gewährleistungsrechte geltend zu machen, anstatt lediglich den Widerruf zu erklären. Die Rechtsauffassung der DGCCRF scheint dem Bestreben geschuldet, den Verbraucher insoweit zu seinem Glück zwingen zu wollen. Dies mag gut gemeint sein, allerdings ist eine Beschneidung der Rechte des Verbrauchers durch eine unzutreffende Gesetzesauslegung dazu sicher nicht das adäquate Mittel. Hinzu kommt, dass Verbraucher die Ware bisweilen unabhängig vom Bestehen eines Mangels zurückgeben möchte, etwa weil diese nicht seinen Vorstellungen entspricht. In diesem Fall würde die Anwendung der Rechtsauffassung der DGCCRF dazu führen, dass der Verbraucher zunächst die Nacherfüllung durch den Verkäufer abwarten muss, bevor er den Widerruf erklären kann. Dies erscheint nicht sachgerecht und unnötig kompliziert.
Aufgrund der oben genannten Kritikpunkte ist zu hoffen, dass sich die französischen Gerichte der Auffassung der DGCCRF nicht anschließen werden. Zumindest dürfte der Vorstoß der Behörde aber für einige Verwirrung bei den betroffenen Unternehmen und Verbrauchern sorgen.
05.08.2015