Frankreich: Entscheidungen des Kassationsgerichtshofs zu Fristen bei versteckten Mängeln
Gleich vier Entscheidungen der chambre mixte des frz. Kassationsgerichtshofs1 sind am 21. Juli 2023 zu Ansprüchen wegen versteckter Mängel („vice caché“) ergangen. Die Entscheidungen sollen mit einer einheitlichen Lösung offener Rechtsfragen mehr Rechtssicherheit für Käufer und Verkäufer bringen.
Wir hatten das Thema Gewährleistung für versteckte Mängel nach französischem Kaufrecht bereits im letzten Jahr behandelt, aufgrund der damals herrschenden Rechtsunsicherheit zur Rechtsnatur der Fristen sowie in Rahmen der Anwendung der Ansprüche wegen versteckter Mängel in der Lieferkette.
Der Anspruch wegen versteckter Mängel ist nicht mit den gesetzlichen Mängelrechten von Verbrauchern im Fall der Vertragswidrigkeit der Kaufsache zu verwechseln, die in den Artikeln L. 217-3 bis L. 217-32 des frz. Verbraucherschutzgesetzes vorgesehen sind.
Bisher bestand eine Meinungsverschiedenheit zwischen den verschiedenen Kammern des frz. Kassationsgerichtshofs zu zwei Punkten:
- Ist die Zweijahresfrist des Artikels 1648 Absatz 1 des frz. Zivilgesetzbuches eine Verjährungs- oder eine Ausschlussfrist?
Der Unterschied zwischen einer Verjährungsfrist („délai de prescription“) und einer Ausschlussfrist („délai de forclusion“) nach französischem Recht ist folgender: Bei der Verjährung verliert der Rechtsinhaber sein Recht aufgrund von Untätigkeit. Der Lauf der Verjährung kann gehemmt oder unterbrochen werden, indem der Berechtigte sein Recht verfolgt (d.h. nicht untätig ist). Eine Ausschlussfrist ist demgegenüber eine Frist, nach deren Ablauf ein Rechtbehelf nicht mehr geltend gemacht werden kann, gleich wie sich der Berechtigte verhält.
- Besteht parallel zu der Zweijahresfrist, gerechnet ab Entdeckung des Mangels, noch eine maximale Frist für die Geltendmachung der Mängelrechte, die ab dem Verkauf der Sache abläuft, unabhängig davon, ob und wann der Mangel entdeckt wird? Wenn ja, von welcher Dauer ist sie (5 oder 20 Jahre)?
Da der Beginn der Zweijahresfrist von der subjektiven Kenntnis des Käufers abhängt, beginnt sie nicht zu laufen, wenn der Käufer den Mangel nicht entdeckt. Deshalb bestand das praktische Bedürfnis nach einer kenntnisunabhängigen Maximalfrist zur Geltendmachung von versteckten Sachmängeln, gerechnet z.B. ab dem Datum des Kaufs.
Nun hat sich die „chambre mixte“, sozusagen der „Große Senat“ des frz. Kassationsgerichtshofs, dieser Themen angenommen.
Zur Frage 1:
Der Kassationsgerichtshof hat nunmehr entschieden, dass es sich bei der Frist von zwei Jahren ab Entdeckung des Mangels um eine Verjährungsfrist für die Erhebung einer Klage auf Gewährleistung für versteckte Mängel durch den Käufer handelt. Das bedeutet, dass es möglich ist, den Ablauf der Frist zu hemmen, insbesondere durch ein selbstständiges Beweisverfahren in Frankreich („expertise“).
Zur Frage 2:
Der frz. Kassationsgerichtshof bestätigte zudem, dass parallel zu der kenntnisabhängigen Zweijahresfrist die maximale Verjährungsfrist des Artikel 2232 des frz. Zivilgesetzbuchs von 20 Jahren gerechnet ab dem Datum des Kaufs Anwendung findet, und nicht die allgemeine Verjährungsfrist unter Kaufleuten von fünf Jahren (Artikel L.110-4 des frz. Handelsgesetzbuches). Da die beiden Fristen parallel gelten, muss der Anspruch auch innerhalb der Maximalfrist von 20 Jahren nicht später als zwei Jahre nach Kenntnis geltend gemacht werden. Dieses Prinzip der doppelten und parallelen Frist von 20 Jahren ab dem Verkauf und 2 Jahren ab Kenntnis des Mangels war bereits Gegenstand einiger Urteile der ersten Zivilkammer des frz. Kassationsgerichtshofs2.
Mit diesen Entscheidungen stärkt der Kassationsgerichtshof die Möglichkeit des Käufers, die Garantie für versteckte Mängel geltend zu machen, ganz außerordentlich. Für manche Verbrauchs- und Verschleißgüter erscheint eine kenntnisunabhängige Frist von 20 Jahren für die Geltendmachung versteckter Mängel überaus lang: Der Verkäufer ist vor Ablauf der 20 Jahre letztlich darauf verwiesen, nachzuweisen, dass der Käufer den Mangel schon vor mehr als zwei Jahren entdeckt hat, was dem Verkäufer kaum je gelingen wird.
Innerhalb von Lieferketten kann die kenntnisunabhängige Frist bei sehr spät erkannten Mängeln dazu führen, dass gegenüber dem jeweiligen Zulieferer binnen sehr kurzer Fristen Rückgriff genommen werden muss, weil innerhalb der jeweiligen Vertragsbeziehung das Ende der Frist von 20 Jahren ab Kauf naht.
Zusammenfassung
Um eine Klage auf Gewährleistung für versteckte Mängel zu erheben, muss der Käufer innerhalb von zwei Jahren ab der Entdeckung des Mangels vor Gericht seinen Anspruch geltend machen, spätestens jedoch innerhalb einer Frist von 20 Jahren ab dem Zeitpunkt des Kaufs.
Die Rechtsprechung ist also für Käufer vorteilhaft, nicht aber für Verkäufer, deren Mängelgewährleistungsrisiko sich erheblich erhöht.
Wir beraten Sie gern dazu, wie Sie dieses Risiko ggf. minimieren können:
1 Cour de cassation, chambre mixte, 21 Juli 2023, Az. 21-15.809, 21-17.789, 21-19.936, 20-10.763.
2 Cour de cassation, 3. Zivilkammer, 8. Dezember 2021, Az. 20-21.439; Cour de cassation, 3. Zivilkammer, 1. Oktober 2020, n° 19-16.986.