Frankreich: Anwendung der Ansprüche wegen versteckter Mängel in der Lieferkette
In einem Urteil vom 29. Juni 2022[1] umreißt die Handelskammer des französischen Kassationsgerichtshofs den Anspruch des Bauherrn wegen versteckter Mängel in der Lieferkette. Gleichzeitig stellt das Gericht klar, ab wann die Frist der Garantiehaftung von Unternehmen gegenüber dem Hersteller läuft.
Der Fall
Im vorliegenden Fall bestand eine Lieferkette aus verschiedenen Vertragstypen: Ein französischer Energiekonzern (ENGIE) beauftragte einen spezialisierten Bauunternehmer (entrepreneur) mit der Fertigstellung eines Stromkraftwerks (Werkvertrag, contrat de louage d‘ouvrage), wofür der Bauunternehmer Photovoltaikmodule von einem dritten Unternehmen kaufte, welches wiederum von einem vierten Unternehmen hergestellte Verbinder enthielten (beides Kaufverträge). Aufgrund eines Versagens der Steckverbinder kam es zur Unterbrechung der Stromerzeugung. Daraufhin verklagte der Bauherr (ENGIE) alle Unternehmen der Lieferkette auf Schadensersatz.
Das Berufungsgericht verurteilte daraufhin den spezialisierten Bauunternehmer (in der Fertigstellung eines Stromkraftwerks) zum Ersatz des materiellen Schadens von ENGIE, da die Steckverbinder einen verborgenen Mangel („vice caché“) nach Artikel 1641 des französischen Zivilgesetzbuches aufwiesen. Es war der Ansicht, dass die Tatsache, dass es sich um einen Werkvertrag (und nicht um einen Kaufvertrag) zwischen dem Energiekonzern und dem Bauunternehmer handelte, keine Rolle für die Anwendung der Artikel 1641 des französischen Zivilgesetzbuches gespielt hat. Jedoch, die Garantie für versteckte Mängel ist insbesondere für den Kaufvertrag vorgesehen. Das Berufungsgericht stützte sich bei seiner Argumentation darauf, dass der Bauunternehmer der Endlieferant der Steckverbinder war, und somit die Garantie für versteckte Mängel in dieser Konstellation auf das Verhältnis zwischen dem Bauunternehmer und dem Bauherrn anzuwenden war.
Die Entscheidung des französischen Kassationsgerichtshofs
Art der Vertragsbeziehung
Der Kassationsgerichtshof widerspricht nun dieser Position: In der direkten Vertragsbeziehung zwischen dem Bauunternehmer und dem Bauherrn, welche ausschließlich nach Werkvertragsrecht zu beurteilen sei, stehe diesem keine Gewährleistung für verborgene Mängel zu. Denn die Rechte jeder Partei werden durch den Vertrag geregelt, und die Garantie für versteckte Mängel gilt nicht zwischen einem Bauherrn und einem Bauunternehmer.
Wichtig ist, dass das Kassationsgerichtshof – unabhängig von der Eigenschaft als Endlieferant, den sonstigen Beziehungen der Lieferkette und der dort möglichen Durchgriffshaftung (action directe) – in der direkten Vertragsbeziehung zwischen den beiden Vertragspartnern ausschließlich das in diesem Teil der Lieferkette maßgebliche Werkvertragsrecht anwendet.
Zeitpunkt des Fristbeginns
In einem zweiten Schritt befasste sich der Kassationsgerichtshof mit dem Zeitpunkt des Fristbeginns für die Garantieansprüche zur gerichtlichen Geltendmachung des verborgenen Mangels innerhalb der Lieferkette. Das Berufungsgericht hatte die Regressklage des verurteilten Bauträgers gegen den Verkäufer des Steckverbinders zurückgewiesen, da die Zweijahresfrist nach Artikel 1648 des französischen Zivilgesetzbuches überschritten gewesen sei. Nach Artikel 1648 läuft die Frist zur Erhebung der Klage aufgrund von Sachmängeln innerhalb von zwei Jahren ab Entdeckung des Mangels.
Der Kassationsgerichtshof hob die Entscheidung des Berufungsgerichts auf. Dieses habe fälschlicherweise den Zeitpunkt der Entdeckung des Mangels durch den Endabnehmer (den Bauherrn) auf September 2012 festgesetzt, anstatt auf die erst im April 2015 durch die gerichtliche Vorladung bekannt gewordene Gewährleistungsklage des Bauherrn gegen den Bauträger. Für den Fristbeginn des Artikel 1648 des französischen Zivilgesetzbuches kommt es demnach allein auf die Mängelkenntnis innerhalb des betroffenen Glieds der Lieferkette an. Im Falle von zwischengelagerten Lieferanten liegt diese Kenntnis oftmals erst ab Erhebung der Klage vor. Vor diesem Datum war nur dem Bauherrn und nicht der mit dem Bau des Kraftwerks beauftragten Firma die Mängel bekannt.
Wichtige Aspekte für die Praxis
Das vorliegende Urteil klärt zwei wichtige Fragen für die Gewährleistung verborgener Mängel in Vertragsketten, die für die Geschäftspraxis durchaus relevant sind.
- Im Rahmen eines Werkmietvertrags können sich die Ansprüche des Bauherrn gegen den Bauunternehmer nicht auf die Garantie für versteckte Mängel nach Artikel 1641 des Zivilgesetzbuchs stützen.
- Die Zweijahresfrist auf der Grundlage von Artikel 1648 des Zivilgesetzbuchs beginnt im Rahmen der Klage des Bauherrn gegen den Hersteller eines mangelhaften Bauteils nicht mit der Entdeckung des Mangels durch den Bauherrn, sondern mit der Entdeckung des Mangels durch den Hersteller des Bauteils durch dessen Vorladung.
[1] Az. 19-20.647.
07.09.2022