Frankreich: Neues Dekret zur Förderung der einvernehmlichen Streitbeilegung
Am 18. Juli 2025 wurde ein umfangreiches Dekret zur französischen Zivilprozessordnung erlassen[1], das die einvernehmliche Streitbeilegung in Frankreich neu organisiert und fördert. Ziel ist es, zivilrechtliche Konflikte künftig noch klarer, flexibler und effizienter zu lösen. Während gerichtliche Verfahren weiterhin manchmal notwendig bleiben, soll die streitige Auseinandersetzung nicht mehr der Regelfall sein.
Das Dekret tritt am 1. September 2025 in Kraft. Im Folgenden erläutern wir die wichtigsten Neuerungen :
1 Neukodifizierung der Regelungen zur einvernehmlichen Streitbeilegung
Die zuletzt stetig gewachsenen Reformen hatten dazu geführt, dass Regelungen zur alternativen Streitbeilegung im französischen Zivilprozessrecht zunehmend verstreut und schwer verständlich wurden. Die nun beschlossene Überarbeitung vereinfacht und systematisiert die Vorschriften grundlegend: Alle Regelungen zu einvernehmlichen Lösungen werden im Buch V des Code de procédure civile zusammengefasst und harmonisiert.
2 Neue Rolle der Gerichte: Zusammenarbeit statt reiner Entscheidung
Das Dekret verankert einen völlig neuen Grundsatz im Art. 21 Code de procédure civile: Französische Richter sollen künftig nicht mehr lediglich Streitfälle entscheiden, sondern aktiv mit den Parteien zusammenarbeiten, um das jeweils am besten geeignete Verfahren zur Streitbeilegung zu ermitteln – sei es durch Mediation, Schlichtung, einvernehmliche Einigung oder gerichtliche Entscheidung.
3 Parteiautonomie bei der Verfahrensgestaltung
Die Parteien erhalten nun die Möglichkeit, den Ablauf des Verfahrens eigenverantwortlich zu regeln. Im Wege einer Vereinbarung bestimmen sie, welche Rechtsfragen entschieden werden sollen, wie Schriftsätze ausgetauscht werden und wie der Sachverhalt aufbereitet wird. Diese konventionelle Gestaltung des Verfahrens erhält Priorität vor der klassischen gerichtlichen Prozessführung. Der Richter bleibt jedoch involviert und kann bei Problemen – etwa bei Zwischenfällen oder bei vorläufigen Maßnahmen – jederzeit steuernd eingreifen.
4 Bevorzugung einvernehmlicher Gutachten
Das Dekret regelt ausdrücklich, dass die Parteien einen Sachverständigen gemeinsam beauftragen können. Für den Fall von Streitigkeiten etwa bei der Bestellung oder Vergütung des Experten wird ein besonderer „Unterstützungsrichter“ (juge d’appui) zuständig.
Ein solches Gutachten hat künftig den gleichen Beweiswert wie ein gerichtliches Sachverständigergutachten. Zudem erhält der beauftragte Experte die Möglichkeit, die Parteien aktiv bei einer Einigung zu unterstützen.
5 Erweiterte Möglichkeiten gerichtlicher Schlichtung
Bisher war die gerichtliche Schlichtung auf Fälle mit einem Streitwert bis 10.000 € beschränkt. Künftig kann das Gericht Schlichtungsverfahren unabhängig vom Streitwert und auf das gesamte Streitverhältnis anordnen, und zwar sowohl im schriftlichen Verfahren als auch im Eilverfahren.
6 Ausweitung der gütlichen Verhandlung (ARA)
Die Audience de Règlement Amiable (ARA), also die gerichtliche Einigungsanhörung, war bisher auf das erstinstanzliche Gericht und schriftliche Verfahren begrenzt. Zukünftig steht die ARA allen zivil- und handelsgerichtlichen Instanzen einschließlich Berufungsgerichten offen (mit Ausnahme von Arbeitsgerichten) und ermöglicht eine von Gerichten unterstützte, gebührenfreie und nicht streitige Beilegung.
7 Stärkung der gerichtlichen Steuerungsfunktion
Richter sind verpflichtet, die Parteien auf den sachgerechtesten Weg zur Streitbeilegung hinzuweisen. Sie können jederzeit die Teilnahme an einer Mediation oder Schlichtung anordnen, damit die Parteien sich über außergerichtliche Lösungsmöglichkeiten informieren. Sollte eine Partei dieser Anordnung ohne legitimen Grund nicht nachkommen, kann sie mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 10.000 € belegt werden. Die Information ist jedoch keine Verpflichtung zur Durchführung – nach erfolgter Beratung entscheiden die Parteien selbst, ob sie die einvernehmliche Lösung in Anspruch nehmen.
8 Einheitliche Vollstreckbarkeit von Vergleichsvereinbarungen
Die Modalitäten zur Vollstreckbarkeit außergerichtlicher Einigungen werden einheitlich geregelt: Vergleiche können nun wahlweise durch gerichtliche Bestätigung oder Protokollierung vollstreckbar gemacht werden.
Fazit:
Das neue Dekret setzt konsequent auf die Förderung alternativer Streitbeilegungsmethoden in Frankreich. Die Anpassungen dienen der Klarheit, Praxisnähe und Flexibilität sowohl für Anwälte als auch für Parteien, die in Frankreich Prozesse führen müssen. Die streitige gerichtliche Auseinandersetzung wird damit zur Ausnahme – im Vordergrund stehen künftig nachhaltige, einvernehmliche Lösungen.
Für individuelle Fragen oder ausführliche Beratung zum französischen Zivilprozessrecht und zur einvernehmlichen Streitbeilegung stehen wir Ihnen bei Qivive jederzeit zur Verfügung.
[1] Décret n° 2025-660 du 18 juillet 2025 portant réforme de l'instruction conventionnelle et recodification des modes amiables de résolution des différends : https://www.legifrance.gouv.fr/jorf/id/JORFTEXT000051919659?datePubli=
23.07.2025