Haftung in der Insolvenz in Frankreich
Ein Unternehmen ist in der Krise häufig gezwungen, Restrukturierungsmaßnahmen zu ergreifen, die unter anderem auch erhebliche Personalkosten verursachen können. Kann das Unternehmen diese Kosten nicht schultern, etwa auch weil die Muttergesellschaft nicht bereit ist, weitere Liquidität bereit zu stellen, stellt sich die Frage, ob das Unternehmen einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahren stellen soll.
Bei der Insolvenz gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Zum einen kann der Geschäftsführer die Eröffnung eines ordentlichen Sanierungsverfahrens (redressement judiciaire) beantragen, dessen Ziel es ist, das Unternehmen innerhalb einer vorgegebenen Zeitrahmens neu auszurichten. Die im Rahmen dieser Sanierung anfallenden Restrukturierungskosten werden zum Teil vom Unternehmen selbst, zum Teil aber auch von der Insolvenzausfallkasse (AGS) übernommen. Gelingt die Sanierung nicht oder ist sie von vornherein ausgeschlossen, so ist das Unternehmen im Rahmen eines Liquidationsverfahrens (liquidation judiciaire) abzuwickeln. Dieser Ausgang einer Insolvenz stellt mit 95 % aller Fälle die Regel dar.
Neben dem möglichen Kontrollverlust und Imageschaden ist die mögliche Haftung der Geschäftsleitung und der Muttergesellschaft eines der wesentlichen Aspekte, die vor Einleitung der maßgeblichen Schritte zu prüfen sind.
A. Haftung der Geschäftsleitung in der Insolvenz
Neben den allgemeinen Haftungstatbeständen, die den Geschäftsführer in Frankreich treffen können, (vgl. hierzu unser Merkblatt zur Haftung des Geschäftsführers in Frankreich) kennt das französische Insolvenzrecht einige besondere Haftungstatbestände, von denen die wichtigsten im Folgenden kurz dargestellt werden sollen.
I. Haftung für unzureichende Aktiva
Im Rahmen eines Liquidationsverfahrens (im ordentlichen Sanierungsverfahren gibt es diesen Haftungstatbestand nicht) kann das Gericht bei Vorliegen einer finanziellen Unterdeckung (insuffisance d’actif) den rechtlichen Geschäftsführer zur Übernahme von Fehlbeträgen verurteilen, die nach Abschluss der Liquidation der Gesellschaft verbleiben. Es geht hier letztlich um die Übernahme der verbleibenden Verbindlichkeiten, die nach Verwertung der Aktiva nicht mehr bedient werden konnten. Diese Fehlbeträge können in einer Insolvenz in Frankreich große Ausmaße annehmen, da hierunter auch die von der Insolvenzausfallkasse verauslagten Kosten der Kündigungsentschädigungen des entlassenen Personals fallen.
Im Rahmen von Insolvenzverfahren drohen Insolvenzverwalter sehr häufig mit diesem Haftungstatbestand, insbesondere im Rahmen der ersten Phase des Insolvenzverfahrens (sog. période d’observation), während derer kurzfristig neue Barmittel benötigt werden. Durch die Drohung mit einer persönlichen Haftung soll der Geschäftsführer und die häufig hinter ihm stehende Muttergesellschaft dazu veranlasst werden, neue Barmittel zur Verfügung zu stellen.
Der Geschäftsführer einer liquidierten Gesellschaft haftet grundsätzlich nur, wenn folgende drei Voraussetzungen erfüllt sind:
- Unzureichende Aktiva und
- Verschulden des Geschäftsführers, das zu diesem Fehlbetrag geführt hat, und
- beide müssen kausal zusammenhängen.
Bei der Beurteilung der unzureichenden Aktiva wird geprüft, ob das gesamte Betriebsvermögen ausreicht, um die Passiva zu decken. Diese unzureichenden Aktiva müssen durch ein Verschulden in der Geschäftsführung verursacht worden sein. Dieses schädigende Verhalten muss zeitlich vor dem Eröffnungsbeschluss erfolgt sein. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass es nachweislich zur Unzulänglichkeit der Aktiva beigetragen hat.
Wann konkret ein Geschäftsführungsfehler anzunehmen ist, bestimmt letztlich das Gericht. Zwar können bereits unternehmerische Fehlentscheidungen eine Haftung begründen, allerdings ist darauf hinzuweisen, dass im Regelfall nur gravierende Fehler zu einer Haftung geführt haben, bei denen das Verschulden des Geschäftsleiters offensichtlich gegeben war. So kann das Gericht nicht schon aus der Höhe der Unterdeckung auf ein Verschulden des Geschäftsführers schließen, es muss dieses auch konkret bestimmen können.
Ein die Haftung des Geschäftsführers im Liquidationsverfahren begründender Geschäftsführungsfehler wurde etwa in folgenden Konstellationen bejaht:
- Fortführung der Geschäftstätigkeit einer hoffnungslos überschuldeten Gesellschaft;
- Weiterführung eines defizitären Geschäfts, wodurch das Eigenkapital aufgebraucht wurde;
- Nichtbeantragung eines Insolvenzverfahrens zur missbräuchlichen Weiterführung des Geschäfts im Eigeninteresse des Geschäftsführers;
- Um mehrere Monate verspätete Beantragung eines Insolvenzverfahrens;
- Unterlassen einer Restrukturierung, obwohl das Unternehmen ständig steigende Finanzkosten verzeichnet hatte;
- Bestellungen, von denen der Geschäftsführer wusste, dass die Gesellschaft die eingegangenen Verbindlichkeiten nicht würde bedienen können;
- Zahlung eines nicht rückzahlbaren Vorschusses an eine Gesellschaft, in der der Geschäftsführer ein Interesse hatte;
- Ungeeignete oder exzessive Investitionen;
- Bestellung von Sicherheiten zugunsten von Tochtergesellschaften ohne Berücksichtigung der eigenen Leistungsfähigkeit;
- Privilegierte Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens zulasten der anderen Gläubiger;
- Unterlassen einer Wiederherstellung des Eigenkapitals innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Jahren und Unterlassen einer Einberufung der Gesellschafterversammlung zu diesem Zweck und
- Abwerben von Kunden und Übertragung von Aktiva auf eine Gesellschaft, an der der Geschäftsführer Anteile hielt.
Es ist für die Haftung unerheblich, ob die Tätigkeit in der Geschäftsleitung entgeltlich oder unentgeltlich ausgeübt wird. Antragsberechtigt ist der Liquidator oder die Staatsanwaltschaft sowie bei Untätigkeit des Liquidators trotz Mahnung (mise en demeure) – und sofern vorhanden – die Prüfer (contrôleurs). Der Schadensersatzanspruch verjährt innerhalb von drei Jahren nach Verkündung des Gerichtsbeschlusses, durch den die Liquidation angeordnet wird.
Nach der Rechtsprechung des französischen Kassationshofes (cour de cassation) sind die französischen Gerichte auch dann für Haftungsklagen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zuständig, wenn der Geschäftsleiter seinen Wohnsitz im Ausland hat. Die Niederlegung, Abberufung oder sonstige Beendigung des Amtes vor Verkündung des Urteils, das das Insolvenzverfahren eröffnet, hat auf die Haftung des Geschäftsführers keine Auswirkungen. Da es sich um eine Haftung für persönliches Verschulden handelt, ist ausschließlich die Frage maßgeblich, wann der Fehler in der Geschäftsführung begangen wurde. Der Geschäftsführer kann damit auch dann für seine Geschäftsführungsfehler belangt werden, wenn er aus der Gesellschaft ausgeschieden ist, sofern dieser Fehler während seiner Amtszeit erfolgt ist und zur Unterdeckung beigetragen hat.
II. Strafbarer Bankrott
Im Zusammenhang mit Insolvenzen ist immer auch an den Straftatbestand es Bankrotts (sog. banqueroute) zu denken.
Hiernach kann sich ein rechtlicher oder faktischer Geschäftsführer einer in einem Insolvenzverfahren befindlichen Gesellschaft strafbar machen, wenn er die Aktiva der Schuldnerin ganz oder teilweise unterschlagen oder verschleiert hat. Unter derartige Aktiva werden auch Verträge mit Kunden subsumiert.
Der strafbare Bankrott wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren und mit einer Geldstrafe von 75.000 € bestraft.
Im Falle einer Bejahung einer Strafbarkeit droht dann auch eine zivilrechtliche (also finanzielle Haftung) der Handelnden nach Art. Art. 1382 f. Code civil für die verursachten Schäden.
III. Nichtabführen von Steuer- oder Sozialversicherungsabgaben
Eine steuerliche oder sozialversicherungsrechtliche Haftung des Geschäftsführers ist auch in Frankreich bekannt, allerdings ist sie eher auf Ausnahmefälle beschränkt.
Der Geschäftsführer kann wegen des Nichtabführens von Steuern haften, allerdings nur, wenn man ihm betrügerische Handlungen oder eine schwerwiegendee und wiederholten Nichtbeachtung steuerlicher Verpflichtungen (manoeuvres frauduleuses ou inobservation grave et répétée des obligations fiscales) nachweisen kann.
Er kann auch für die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen haften allerdings in der Regel nur mit Geldstrafen und Schadensersatzzahlungen. Eine gesamtschuldnerische Haftung auf die eigentlichen Sozialversicherungsbeiträge neben der Gesellschaft kommt nur in folgenden Fallgruppen in Betracht:
- Erlass eines Bescheids wegen Schwarzarbeit (verbalisation pour travail dissimulé)
- Betrügerische Handlungen bzw. eine schwerwiegende und wiederholte Nichtbeachtung sozialrechtlicher Verpflichtungen.
B. Haftung der Muttergesellschaft in der Insolvenz
Neben dem Geschäftsführer kann auch die Muttergesellschaft im Rahmen der Insolvenz ihrer französischen Tochtergesellschaft haften.
I. Haftung für unzureichende Aktiva
Die oben erwähnte Haftung des Geschäftsführers für unzureichende Aktiva betrifft nicht nur den rechtlichen Geschäftsführer, sondern auch den faktischen Geschäftsführer. Als faktischer Geschäftsführer kommt jeder in Betracht, der sich wie der rechtliche Geschäftsführer verhalten hat, also auch die Muttergesellschaft selbst (im Einzelnen zum faktischen Geschäftsführer vgl. unser Merkblatt zur Haftung des Geschäftsführers).
Ist die Muttergesellschaft oder aber etwa eine Schwestergesellschaft als faktischer Geschäftsführer zu qualifizieren, so gelten die oben genannten Ausführungen auf für diese.
II. Gesellschafter als Mitarbeitergeber
Ein weiterer Haftungstatbestand, den die Muttergesellschaft im Rahmen einer Insolvenz ihrer französischen Tochtergesellschaft treffen kann, ist die durch die Rechtsprechung entwickelte sog. Mitarbeitgeberschaft.
Nach dieser Rechtsprechung kann eine Muttergesellschaft gegenüber den Arbeitnehmern der Tochtergesellschaft wie ein Arbeitgeber auf Schadensersatz haften, wenn sie sich zu sehr in das Management und die Personalleitung der Tochtergesellschaft eingemischt hatte und damit wie ein Arbeitgeber aufgetreten ist.
Diese Rechtsprechung, die erstmals im Jahr 2011 ein ausländisches Mutterhaus traf (Jungheinrich) und von vielen Unterinstanzen übernommen wurde, hat in den letzten Jahren allerdings eine erhebliche Einschränkung durch den französischen Kassationshof erfahren. In der Tat zögert der Kassationsgerichtshof zunehmend, die als Mitarbeitgeberschaft anzuerkennen, und es ist davon auszugehen, dass dieses Rechtsinstitut in Zukunft überhaupt nicht mehr oder nur noch in Fällen anormaler Einmischung einer Gesellschaft eines Konzerns in die wirtschaftliche und soziale Führung einer anderen Gesellschaft zum Tragen kommen wird.
III. Deliktische Haftung der Muttergesellschaft gegenüber den Mitarbeitern der Tochter
Die Muttergesellschaft kann aber gegenüber den Mitarbeitern ihrer französischen Tochtergesellschaft aus dem allgemeinen Deliktstatbestand (Art. 1240 und 1241 code civil) haften. Hiernach ist jeder zum Schadensersatz verpflichtet, der einem anderen schuldhaft einen Schaden zufügt.
In einer Entscheidung betreffend die französische Gesellschaft Lee Cooper hat der französische Kassationshof im Jahre 2018 in der Tat eine derartige Haftung der Muttergesellschaft bejaht, nachdem alle 51 Mitarbeiter der französischen Gesellschaft entlassen worden waren.
Die Richter begründeten die Haftung damit, dass die Muttergesellschaft alle die Tochtergesellschaft betreffenden Entscheidungen ausschließlich im Eigeninteresse getroffen hatte, die für die Tochtergesellschaft nachteilig waren und zu deren Teilliquidation und damit zu den Verlusten der Arbeitsplätze geführt hatten. Konkret hatte der Konzern die Tochtergesellschaft durch folgende Maßnahmen ausgehöhlt:
- Finanzierung der französischen Tochtergesellschaft auf Veranlassung des Konzerns mit Mitteln in einer unverhältnismäßigen Höhe
- Unentgeltliche Übertragung der Lizenz der Marke Lee Cooper auf eine andere Gruppengesellschaft
- Nichtzahlung von Rechnungen der französischen Gesellschaft für erbrachte Leistungen gegenüber anderen Konzerngesellschaften.
IV. Ausweitung des Insolvenzverfahrens bei Vermengung von Vermögen
Das Insolvenzverfahren einer Tochtergesellschaft kann auf einen Gesellschafter und die Unternehmensgruppe erstreckt werden, wenn der Gesellschafter oder eine der Gesellschaften der Gruppe sein/ihr eigenes Vermögen mit dem Vermögen der Tochtergesellschaft vermengt hat (confusion de patrimoine).
Eine solche Vermengung des Vermögens liegt vor, wenn die Vermögen zweier Gesellschaften dermaßen eng miteinander verflochten sind, dass keines mehr gesondert betrachtet werden kann. Hierbei sind zwei alternative Kriterien wichtig: die Vermischung der Konten oder unnormale Finanztransfers bzw. „unnormale finanzielle Beziehungen“.
Derartige Fälle sind in der Praxis eher selten, da die allermeisten Unternehmen eine geordnete Buchhaltung führen.
Hier finden Sie ein Update vom 03. Januar 2022 zur Ausweitung des Insolvenzverfahrens.
19.10.2020