Frankreich: Entstehung von vertraglichen Rechten aus Sachlagen
In der Arbeitswelt, in der der schriftliche Vertrag als unangefochtener Herrscher gilt, gibt es dennoch Situationen, in denen die bloße Sachlage Rechte für Arbeitnehmer begründen kann.
So können vertragliche Rechte auch ohne entsprechende schriftliche Bestimmungen im Vertrag entstehen, wenn eine Sachlage wiederholt, stabil und unbestritten ist.
Im französischen Recht existiert ein vertraglicher Kern, der die wesentlichen Elemente eines Arbeitsvertrags umfasst: Vergütung, Arbeitszeit, Funktion und, in bestimmten Fällen, den Arbeitsort. Dieser vertragliche Kern kann vom Arbeitgeber nur mit Zustimmung des Arbeitnehmers verändert werden.
Doch diese wesentlichen Elemente müssen nicht immer schriftlich festgehalten sein, um rechtliche Wirkung zu entfalten. Schon ein einfacher Fehler oder ein Unterlassen seitens des Arbeitgebers kann genügen, um für den Arbeitnehmer vertragliche Rechte zu verfestigen. Dies wurde jüngst durch ein Urteil des Berufungsgerichts von Amiens bestätigt.
Ein Fehler als Ursprung von Rechten
In einem Urteil vom 13. Dezember 2023 (Cass. soc., 13 décembre 2023, 21-25.501) hatte ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer über 7 Jahre hinweg versehentlich Prämien gezahlt. Nachdem dieser Fehler bemerkt wurde, entschied der Arbeitgeber, die Zahlungen einzustellen. Der Arbeitnehmer war jedoch der Ansicht, dass diese Prämien inzwischen ein Recht darstellten, und klagte auf Wiederaufnahme der Zahlungen sowie auf Nachzahlungen.
Das Berufungsgericht gab dem Arbeitnehmer Recht und stellte fest, dass die Streichung dieser Prämien eine einseitige Änderung eines wesentlichen Bestandteils des Arbeitsvertrags darstelle. Mit anderen Worten: Durch ihre regelmäßige und kontinuierliche Zahlung waren die Prämien zu einem festen Bestandteil der vertraglichen Vergütung geworden. Der Kassationshof bestätigte diese Auffassung und betonte, dass der ursprüngliche Fehler des Arbeitgebers nicht ausreiche, um die durch diese Sachlage entstandenen Rechte zu annullieren.
Unterlassung des Arbeitgebers als Quelle von Rechten
Diese Analyse erinnert an eine ständige Rechtsprechung im Bereich des Homeoffice.
Wenn ein Arbeitnehmer beispielsweise ohne schriftliche Vereinbarung im Homeoffice arbeitet und der Arbeitgeber davon weiß, ohne dagegen einzuschreiten, wird diese Arbeitsweise automatisch Bestandteil des Arbeitsvertrags.
Der Arbeitgeber kann in der Folge diese Arbeitsorganisation nicht einseitig ändern, ohne die Zustimmung des Arbeitnehmers einzuholen (Cass. soc., 31 mai 2006, 04-43.592; Cass. soc., 13 février 2013, 11-22.360, Cour d'appel d'Amiens, 27 mars 2024, n° 23/00083).
Praktische Tipps
Für Arbeitgeber ist es entscheidend, solche Sachverhalte nicht unkontrolliert entstehen oder herauskristallisieren zu lassen.
- Schaffen Sie Klarheit, indem sie entweder Widerspruch einlegen oder die Bedingungen, die Sie akzeptieren, schriftlich festlegen. Andernfalls riskieren sie, dass sich Rechte des Arbeitnehmers auf Basis der gelebten Realität verfestigen.
- Im Falle des Homeoffice könnte z. B. eine explizite Klausel, die eine Rückkehr ins Büro je nach den Bedürfnissen des Unternehmens vorsieht, viele Streitigkeiten verhindern.