Frankreich: Haftung des Verkäufers wegen falscher Angaben vor LOI
Der französische Kassationshof hatte in einem Urteil vom 26. Februar 2025 die Frage zu entscheiden, ob der Verkäufer für fehlerhafte Angaben in der Phase vor Unterzeichnung einer Absichtserklärung (LOI) im Hinblick auf den Abschluss eines Unternehmenskaufvertrages dem Käufer gegenüber haften kann.
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Der Fall
Im entschiedenen Fall hatte die Firma All sun im Juli 2019 mit den Gesellschaftern der Firma Fit Verhandlungen über einen Unternehmenskauf aufgenommen. Es wurde eine Absichtserklärung unterzeichnet, die einen geschätzten Kaufpreis von 12,5 Millionen Euro vorsah. Dieser Preis basierte auf den Bilanzen der Vorjahre sowie dem Jahresabschluss 2018, aus denen ein EBITDA von 2,5 Millionen Euro errechnet wurde.
Im Oktober 2019 beauftragte All sun die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG mit einer Due-Diligence-Prüfung. Dabei stellte sich heraus, dass die Rückstellungen für zweifelhafte Forderungen deutlich zu niedrig angesetzt waren – laut KPMG betrugen diese tatsächlich rund 2,6 Millionen Euro statt der angegebenen 1,36 Millionen Euro. Daraufhin wollte All sun den Kaufpreis nachverhandeln. Die Verkäufer brachen die Verhandlungen daraufhin im Dezember 2019 ab.
All sun klagte auf Schadensersatz und machte geltend, dass die Verkäufer ihre vorvertraglichen Informationspflichten verletzt und nicht in gutem Glauben verhandelt hätten. Die Klage wurde jedoch sowohl in der Berufungsinstanz als auch vom Kassationsgericht abgewiesen.
Das Urteil
Die Cour de cassation stellte fest, dass All sun Zugang zu sämtlichen relevanten Informationen hatte, einschließlich detaillierter Bilanzen, Anhängen und individueller Aufstellungen über Forderungen und deren Bewertung. Die Käuferin hatte ausreichend Gelegenheit, sich selbst ein vollständiges Bild zu machen, und hatte diese Möglichkeiten auch genutzt. Die Verkäufer hatten keine Pflicht zur weitergehenden Aufklärung, da sie keine Informationen zurückgehalten oder irreführend dargestellt hatten. Dass es unterschiedliche Auffassungen zur Bewertung der Forderungen gab, sei Teil des normalen geschäftlichen Risikos und keine Pflichtverletzung.
Daher sah das oberste französische Gericht keine Verletzung der vorvertraglichen Informationspflicht gemäß Artikel 1112-1 des französischen Zivilgesetzbuchs und wies den Revisionsantrag von All sun zurück. All sun wurde zudem zur Zahlung der Verfahrenskosten verurteilt.
Fazit
Diese Entscheidung ist zu begrüßen, lässt aber auch aufhorchen: Während viele an einem Unternehmenskauf Beteiligte davon ausgehen, dass die LOI – bis auf wenige Regelungen, etwa der Vertraulichkeit – keine verbindliche Rechtswirkungen entfaltet, können bereits Falschangabe zum Verkauf durchaus für den Verkäufer haftungsrelevant sein: So müssen bereits in diesem frühen Stadium alle dem Verkäufer bekannten Informationen, die den Preis beeinflussen können, dem Käufer rechtzeitig im Rahmen der Due-Diligence-Prüfung offengelegt werden – und nicht erst kurz vor der Unterzeichnung des Vertrags (Signing).
Das Besondere an dieser Entscheidung ist, dass sie zwischen der bloßen Übermittlung von Informationen und deren Bewertung durch die Parteien unterscheidet. Entscheidend ist, dass die relevanten Informationen frühzeitig und in fairer Weise mitgeteilt werden, sodass der Käufer ausreichend Zeit hat, diese zu bewerten. Eine bloße unterschiedliche Einschätzung der vorliegenden Informationen stellt jedoch keinen Verstoß dar.
10.04.2025