Zur gesamtschuldnerischen Haftung bei französischen Unternehmenskäufen
Der französische Kassationshof (Cour de cassation) hat am 24. Januar 2024 (Aktenzeichen: Com. 24 janv. 2024, F-B, n° 20-13.755) die Grenzen der gesamtschuldnerischen Haftung im Kontext eines Unternehmenskaufes in Frankreich und der damit verbundenen Passivgarantien neu festgelegt.
Eine Passivgarantie ist eine im französischem Unternehmenskaufvertrag typische Vereinbarung, durch die der Veräußerer dem Erwerber die Werthaltigkeit seines Unternehmens garantiert. Sie dient dazu, den Käufer abzusichern, falls nicht offengelegte Verbindlichkeiten, die vor der Übertragung entstanden sind, den Wert des Unternehmens mindern.
Im spezifischen Fall hatten vier Personen insgesamt 7.000 Anteile einer Gesellschaft verkauft, wodurch die Kontrollrechte über das Unternehmen auf die Käuferin, die Gesellschaft Sati, und deren Geschäftsführer übergingen (dieser hatte 70 Anteile von einem Gesellschafter erworben, Sati die übrigen Anteile von allen Gesellschaftern). Die Verkäufer hatten jeweils durch separate Verträge Anteile verkauft und dabei in jedem Vertrag eine Passivgarantie vereinbart. Später machten die Käufer Ansprüche aus dieser Garantie geltend, weil ein nicht offengelegter Passivposten (eine Verbindlichkeit gegenüber einem italienischen Lieferanten über etwa 100.000€) aufgetreten war.
Die Besonderheit dieses Falls lag in der Anwendung der gesamtschuldnerischen Haftung. Die Cour d'appel (Berufungsinstanz) von Lyon hatte ursprünglich entschieden, dass eine gesamtschuldnerische Haftung aller Verkäufer besteht, was bedeutet, dass jeder Verkäufer für die gesamte Schuld haften könnte. Dies entspricht der herrschenden Rechtsprechung in Frankreich, wonach bei handelsrechtlichen Verträgen eine Gesamtschuld immer vorliegt, und zwar auch im Rahmen von Unternehmenskäufen. Die Cour de cassation hob jedoch dieses Urteil auf. Sie argumentierte, dass die gesamtschuldnerische Haftung nicht auf den Geschäftsführer der Käufergesellschaft angewendet werden kann, da er Anteile nur von einem der Verkäufer erworben hatte. Die Gesamtschuld, von der die Gesellschaft Sati profitierte, konnte somit keine Wirkung in Bezug auf den Geschäftsführer haben. Im Ergebnis hatte der Geschäftsführer damit nur einen Anspruch gegenüber seinem eigenen Verkäufer und konnte sich seinen Schuldner nicht aussuchen, was insbesondere im Falle einer Zahlungsunfähigkeit oder eines Wegzugs des Schuldners zu Problemen führen kann.
Diese Entscheidung bestätigt zunächst den Grundsatz einer gesamtschuldnerischen Haftung unter den Verkäufern im Rahmen von Unternehmenskäufen (Asset-Deal). Sie schränkt diesen Grundsatz allerdings auf Fälle ein, in denen eine klare Verbindung zwischen den Verpflichtungen besteht, die aus verschiedenen Verträgen entstanden sind, und der Übertragung der Kontrollrechte über das Unternehmen. Nur dann kann von einer gesamtschuldnerischen Haftung ausgegangen werden.
Praxistipp:
- Die Frage der gesamtschuldnerischen Haftung ist im französischen Recht nur knapp geregelt und wird im Übrigen durch das Richterrecht ausgestaltet, was einige Rechtsunsicherheit birgt.
- Im Rahmen von Unternehmenskäufen empfiehlt sich aus Käufersicht daher immer, ausdrücklich eine Gesamtschuld zu vereinbaren.
- Der beschriebene Fall zeigt, dass ein Käufer bei unzureichend formulierten Verträgen auch leer ausgehen kann.
09.02.2024