Gewährleistungsansprüche des Untererwerbers bei Kenntnis des Mangels in Frankreich
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Einführung
Eine aktuelle Entscheidung der Handelskammer der französischen Cour de cassation vom 16. Oktober 2024 befasst sich mit einer bedeutsamen Frage: Kann ein Untererwerber trotz Kenntnis eines Mangels bei seinem Kauf eine Mängelhaftungsklage (action en vice caché) gegen den ursprünglichen Verkäufer im Rahmen der Durchgriffsklage (sog. action directe) erheben? Die Entscheidung stellt klar, dass die Kenntnis des Mangels durch den Untererwerber für die Bewertung der Begründetheit seiner Klage unerheblich ist.
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Hintergrund: Der Sachmangel im französischen Recht
Das französische Recht bietet Käufern einen Schutz vor versteckten Mängeln (vices cachés), die eine Sache unbrauchbar machen oder deren Nutzung erheblich beeinträchtigen. Diese Gewährleistung erstreckt sich auch auf Untererwerber, die die Sache über eine Kette von Verträgen erwerben. In der vorliegenden Entscheidung ging es um den Kauf eines Fahrzeugs, das mit einem versteckten Konstruktionsfehler behaftet war. Nach einem Beweissicherungsverfahren (sog. expertise judiciaire) wurde dieser Mangel festgestellt, und der Untererwerber klagte gegen den ursprünglichen Verkäufer des Fahrzeugs.
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Der Fall im Detail
Am 18. Juni 2015 erwarb eine Gesellschaft ein Fahrzeug einer renommierten britischen Marke. Später wurde das Fahrzeug im Rahmen eines Leasingvertrags mit Kaufoption an eine andere Gesellschaft weitergegeben. Der Leasingnehmer stellte schließlich mehrere Mängel am Fahrzeug fest, die zu einer Panne führten. Nach einem technischen Gutachten, das am 26. Juni 2019 vorgelegt wurde, stellte sich heraus, dass die Panne auf einen Herstellungsfehler zurückzuführen war. Trotz dieses Gutachtens entschied sich der Leasingnehmer am 6. September 2019, die Kaufoption auszuüben. Anschließend erhob er Klage gegen den ursprünglichen Verkäufer und den Hersteller des Fahrzeugs wegen versteckter Mängel.
In der Berufungsinstanz wurde die Klage jedoch abgewiesen, da der Leasingnehmer, der bereits Kenntnis von dem Mangel hatte, die Kaufoption ausgeübt hatte. Die Richter waren der Ansicht, dass eine Klage auf Mängelhaftung nur dann zulässig sei, wenn der Untererwerber vor der Ausübung der Kaufoption nicht von dem Mangel wusste.
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Die Entscheidung der Cour de cassation
Der Untererwerber ging gegen diese Entscheidung in Revision und argumentierte, dass die Klage auf Mängelhaftung als Zubehör zur Sache an ihn übergegangen sei, unabhängig von seiner Kenntnis des Mangels. Die Cour de cassation gab ihm Recht und entschied, dass die Kenntnis des Mangels durch den Untererwerber bei der Beurteilung der Berechtigung seiner Klage gegen den ursprünglichen Verkäufer irrelevant sei. Entscheidend sei, dass die Gewährleistungsansprüche als Zubehör zur Sache auf den Untererwerber übergehen. Die Kenntnis des Mangels sei nur zum Zeitpunkt des ursprünglichen Verkaufs durch den Erstkäufer relevant.
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Praktische Auswirkungen
Diese Entscheidung stärkt die Rechte von Untererwerbern in Frankreich. Selbst wenn der Untererwerber zum Zeitpunkt des Kaufs Kenntnis von einem Mangel hat, kann er die Gewährleistungsansprüche geltend machen, da diese als Zubehör zur Sache mitverkauft werden. Die Entscheidung stellt klar, dass die Kenntnis des Mangels nur im Verhältnis zwischen dem ursprünglichen Verkäufer und dem ersten Käufer relevant ist.
25.10.2024