Internationaler Gerichtsstand und Forderungsfeststellung im französischen Insolvenzrecht
In einem Urteil der Kammer für Handelssachen des französischen Kassationsgerichtshofs vom 11. Dezember 2024 hat das Gericht zur Frage der Geltung von Gerichtsstandsvereinbarungen im Fall von Forderungsfeststellungsklagen Stellung genommen.
- Gerichtszuständigkeit bei Forderungsfeststellung in Frankreich
In Frankreich ist das Insolvenzgericht („juge commissaire“) selbst für die Entscheidung über die Feststellung bestrittener Forderungen zur Insolvenztabelle zuständig, wenn das (Handels-)Gericht, das ihn ernannt hat, ohnehin sachlich für den Rechtsstreit zuständig ist und keine ernstliche rechtliche Schwierigkeit („contestation sérieuse“) vorliegt.
Eine contestation sérieuse liegt vor, wenn die Prüfung des Bestehens der Forderung eine vertiefte rechtliche Analyse erfordert. In diesem Fall erklärt sich das Insolvenzgericht für unzuständig und gibt den Rechtsstreit an das zuständige Gericht ab, sei es and die Kammer für Handelssachen des zuständigen gleichen Gerichts (im Fall einer ernstlichen rechtlichen Schwierigkeit), oder an ein anderes für die Forderung sachlich zuständige Gericht.
Dass die beiden Bedingungen – 1. keine Schwierigkeit, 2. sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts – kumulativ vorliegen müssen, damit der Insolvenzrichter zuständig ist, geht zwar nicht eindeutig aus Art. L624-2 Code de commerce hervor, wird jedoch spätestens seit 2014 gemeinhin angenommen, als das Forderungsfeststellungsverfahren per Verordnung geändert wurde und etwa Art. R624-4 Code de commerce eingeführt wurde, der diese Interpretation zu bestätigen scheint. Der französische Insolvenzrichter ist also nur für eine Art Evidenzkontrolle der Forderung zuständig, und auch das vor allem nur wenn sein Gericht sachlich zuständig ist.
Auf dieser Linie liegt auch die vorliegende Rechtsprechung, zur internationalen Unzuständigkeit des Insolvenzrichters.
- Aktuelles Urteil zur internationalen Zuständigkeit
Im hier entschiedenen Fall hatte der Insolvenzverwalter eines Leasingnehmers die zur Tabelle angemeldete Vorfälligkeitsentschädigung aus einem Leasingvertrag bestritten, die geschuldeten Leasingraten aus dem gleichen Vertragsverhältnis jedoch nicht.
Das französische Insolvenzgericht erster Instanz erklärte sich für diese Forderungsanmeldung für insgesamt international unzuständig, da der Vertrag, auf dem die in Rede stehende Schadensersatzforderung beruhte, eine Gerichtsstandsklausel zugunsten der irischen Gerichte enthielt.
Der betroffene französische Gläubiger machte geltend, es liege keine wesentliche rechtliche Schwierigkeit vor (insoweit wohl zutreffend) und der französische Insolvenzrichter möge daher über die Aufnahme der Forderung in die Tabelle entscheiden, ohne nach Irland zu verweisen.
Der Kassationsgerichtshof entschied, dass der Insolvenzrichter sich hinsichtlich der bestrittenen Forderung zu Recht für unzuständig erklärt hatte. Es komme nicht darauf an, ob die zu behandelnde rechtliche Frage mehr oder weniger evident ist. Entscheidend sei allein, ob eine (nicht offensichtlich unwirksame) Gerichtsstandsklausel zugunsten anderer Gerichte vorliege. Diese sei dann bindend für den Feststellungsrechtsstreit, auch wenn eine andere internationale Zuständigkeit vorliegt. Für die Feststellung des nicht bestrittenen Teils der Forderung hingegen bleibe das französische Insolvenzgericht zuständig.
Diese neue Rechtsprechung schränkt die Tragweite der vis attractiva concursus auf internationaler Ebene erheblich ein.
Inwiefern dies mit der ausschließlichen Zuständigkeit für Annexklagen der Gerichte des Mitgliedsstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, nach Art. 6 EuInsVO kompatibel ist erscheint fraglich. Man mag darauf verweisen, dass die französischen Gerichte, wenn das Bestehen der Forderung durch das ausländische Gericht geklärt ist, am Ende wieder über die Feststellung zur Tabelle entscheiden. Gleichwohl werden auf diese Weise Feststellungsklagen von Gläubigern gegen den Insolvenzverwalter teils an Gerichte von Drittstaaten verwiesen.
- Art. 6 EuInsVO : Ziel der Verfahrenskonzentration
Art. 6 EuInsVO verfolgt dem gegenüber den Zweck der Verfahrenskonzentration im Mitgliedstaat der Verfahrenseröffnung, was eine zügigere Erledigung der Forderungsfeststellung ermöglichen soll.
Der vorliegende Fall ist eine Illustration dieser Thematik: über manche Forderungen aus einem Leasingvertrag entscheidet der französische Insolvenzrichter, über andere ein irisches Gericht. Das kann dauern.
Die internationale Zuständigkeit nach Art. 6 EuInsVO wirft die Frage auf, ob Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Forderungsfeststellung „unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen“. Dabei ist nach der Rechtsprechung des EuGH (zuletzt etwa Urteil vom 18.9.2019) zu prüfen, ob der der Klage zugrunde liegende Anspruch oder die ihr zugrunde liegende Verpflichtung den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts entspringt oder aber den abweichenden Sonderregeln für Insolvenzverfahren.
- Zum Vergleich: Gerichtszuständigkeit für Forderungsfeststellung in Deutschland
Nach deutschem Recht sind Klagen im Zusammenhang mit der Forderungsfeststellung nach herrschender Meinung so kategorisiert, dass Klagen nach § 179 InsO (Gläubiger betreibt Feststellung seiner Forderung nach Bestreiten durch den Insolvenzverwalter oder den Insolvenzgläubiger) Annexklagen sind. Sie sind insofern insolvenzspezifisch, als es darum geht, ob und mit welcher Rangordnung ihre Forderungen im Insolvenzverfahren gegenüber dem Insolvenzverwalter oder anderen Gläubigern, berücksichtigt werden. Die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet ist, sollen daher ausschließlich zuständig sein.
Klagen nach § 184 InsO (Gläubiger begehrt Feststellung gegen den Schuldner selbst) hingegen sind letztlich nach wohl herrschender Meinung allgemeine Feststellungsklagen ohne spezifischen Bezug zur insolvenzrechtlichen Forderungsfeststellung und unterfallen nicht Art. 6 EuInsVO.
In Deutschland stellt sich zudem (auch in Fällen ohne rechtliche Schwierigkeit) nicht die Frage der funktionellen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts selbst (!) für den Feststellungsrechtsstreit: Die gerichtliche Prüfung bestrittener Forderungen findet immer außerhalb des Insolvenzverfahrens statt und nicht durch das Insolvenzgericht, sondern die Zivilabteilungen des jeweils zuständigen Amts- oder Landgerichts im Bezirk des Insolvenzgerichts.
Praxishinweis:
Vereinbart man internationale Gerichtsstandsklauseln in Verträgen mit französischen Schuldnern zugunsten der Gerichte anderer Länder, ist zu berücksichtigen, dass diese ggf. die Forderungsfeststellung im Insolvenzverfahren erschweren können.
03.02.2025