Strenge Loyalitätspflicht bei der Verhandlung einer Kollektivperformancevereinbarung nach französischem Recht
In zwei kürzlich ergangenen Urteilen hat das Pariser Berufungsgericht betont, dass die bei Sozialverhandlungen allgemein geltende Loyalitätspflicht bei den Kollektivperformancevereinbarungen, der sogenannten Accord de performance collective (kurz: APC) besonders streng beachtet werden muss.
Vorab
Die Kollektivperformancevereinbarungen (Art. L. 2254-2 des französischen Arbeitsgesetzbuches) sind als besonders geregelte Betriebsvereinbarungen immer häufiger im französischen Arbeitsrecht anzutreffen. Aufgrund der kollektiven Willensbildung der Sozialpartner können die APC unter Umständen von den gesetzlichen Regelungen abweichen, jegliche im individuellen Arbeitsvertrag entgegenstehende Klauseln ersetzen und sogar zu einer begründeten Entlassung der Mitarbeiter, die ihre Anwendung ablehnen, führen.
Angesichts ihrer schwerwiegenden Folgen erfordern die APC eine besonders sorgfältige und transparente Verhandlungsführung durch den Arbeitgeber, wie das Pariser Berufungsgericht kürzlich ausführte. Bei Verstößen gegen diese Loyalitätspflicht kann eine APC für nichtig erklärt werden.
Erste Entscheidung: Der Arbeitgeber muss alle repräsentativen Gewerkschaften mit einbeziehen
Im Sommer 2024 lag dem Pariser Berufungsgericht ein Fall vor, in dem ein Unternehmen eine Minderheitsgewerkschaft von den Verhandlungen für eine Kollektivperformancevereinbarung ausschloss und nur mit der Mehrheitsgewerkschaft verhandelte und die APC abschloss. Nachdem die Minderheitsgewerkschaft das Unternehmen wegen Missachtung des Loyalitätsprinzips vor dem Zivilgerichtshof erfolgreich verklagte, legte das Unternehmen Berufung ein. Als Reaktion auf das erstinstanzliche Urteil rief es sogar Neuverhandlungen aus und modifizierte die APC dahingehend, dass einige Forderungen der Minderheitsgewerkschaft berücksichtigt wurden. Das Berufungsgericht bestätigte jedoch das erstinstanzliche Urteil und erklärte auch die neu geschlossene APC für nichtig.
Es betonte, dass der Ausschluss einer repräsentativen Gewerkschaft bei den Verhandlungen die Loyalitätspflicht verletzt und, dass selbst eine nachträgliche Einbindung der ausgeschlossenen Gewerkschaft und eine entsprechende Veränderung der APC die Einhaltung des Loyalitätsprinzips nicht wahrt.
Das Gericht betont somit, dass eine faire und umfassende Einbindung aller repräsentativen Gewerkschaften entscheidend ist. Verstöße gegen diese Grundsätze können zur Nichtigkeit einer APC führen, selbst wenn nachträglich versucht wird, den Fehler zu korrigieren.
Zweite Entscheidung: Grenzen der Loyalitätspflicht
Im zweiten Fall, über welchen das Pariser Berufungsgericht im Juni 2024 entschied, ging es um ein Unternehmen im Luftfahrtsektor, das eine APC mit drei repräsentativen Mehrheitsgewerkschaften abschloss. Zwei nicht unterzeichnende Gewerkschaften gingen gerichtlich gegen die APC vor und beantragten wegen angeblich illoyaler Verhandlungen deren Nichtigkeit. Sie argumentierten, dass die Verhandlungen ohne eine vorherige Rahmenvereinbarung stattgefunden haben. Das Berufungsgericht wies diese Argumente zurück und stellte klar, dass eine vorherige Rahmenvereinbarung keine zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit der APC ist.
Darüber hinaus stellte das Gericht einige Kriterien heraus, durch die man das Loyalitätsprinzip und die Verhandlungstransparenz wahren könne. So wären diese z. B. in Form der Verhandlungsleitung durch einen externen Experten und die Gleichbehandlung der einzelnen Gewerkschaften in Hinblick auf die Informationsverteilung gewahrt. Auch sollten die Arbeitgeber den Gewerkschaften ausreichend Zeit zur Beratung und die Möglichkeit zu Gegenentwürfen geben.
Fazit
Die beiden Entscheidungen des Pariser Gerichtes unterstreichen sowohl die strengen Anforderungen an die Loyalitätspflicht bei der Verhandlung von APC als auch deren Grenzen. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie bei der Verhandlung solcher Vereinbarungen äußerste Sorgfalt walten lassen müssen, um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden.
Praxistipps
- Als Arbeitgeber sollten Sie auf eine Gleichbehandlung aller Gewerkschaftsgruppen achten und diese gleichermaßen an den Verhandlungen teilnehmen lassen.
- Den Gewerkschaften sollte ausreichend Zeit zur Stellungnahme und zu möglichen Gegenentwürfen gegeben werden.
- Eine vorherige Rahmenvereinbarung kann hilfreich sein, um die Modalitäten der Verhandlungen festzulegen und nachträgliche Diskussionen zu vermeiden.
- Bei besonderen Umständen kann es sich lohnen, externe, unabhängige Experten als Verhandlungsleiter heranzuziehen.
04.10.2024