Preisermäßigungen in Frankreich: Hersteller-UVP als Referenzpreis unzulässig
Die Richtlinie (EU) 2019/2161[1] erfordert erhebliche Anpassungen im Bereich des Verbraucherschutzes und des Wettbewerbsrechts der Mitgliedstaaten. Unter anderem macht die Richtlinie neue Vorgaben für die Bekanntgabe von Preisermäßigungen durch Händler. Die bislang übliche Praxis der Berechnung der Preisermäßigung anhand der Hersteller-UVP ist künftig untersagt.
Die Vorgaben der Richtlinie
Mit der eingangs genannten „Omnibus-Richtlinie″ wurde u. a. die Preisangaben-Richtline[2] geändert. Eine sehr praxisrelevante Regelung zur Werbung mit Preisermäßigungen findet sich in deren Artikel 6a. Dieser sieht vor, dass der Händler bei jeder Bekanntgabe einer Preisermäßigung den vorherigen Preis anzugeben hat. Der vorherige Preis ist definiert als der niedrigste Preis, den der Händler innerhalb eines Zeitraums von mindestens 30 Tagen vor der Anwendung der Preisermäßigung angewandt hat.
Mit dieser Regelung soll es Verbrauchern ermöglicht werden, Preisermäßigungen besser einordnen zu können, indem kurzfristige Preiserhöhungen zur künstlichen Erhöhung des Unterschieds zwischen vorherigem Verkaufspreis und ermäßigtem Angebotspreis zur Verbesserung des Werbeeffektes wirkungslos gemacht werden.
Rückblick
Aus französischer Sicht handelt es sich bei der Neuregelung weitgehend um eine Rückkehr zur früher geltenden Rechtslage. In der Tat sah das französische Recht noch bis 2015 vor, dass bei der Werbung mit Preisnachlässen der angegebene Referenzpreis nicht höher sein durfte als der niedrigste Preis, den ein Händler oder Dienstleister für eine vergleichbare Ware oder Dienstleistung während der letzten 30 Tage vor Beginn der Werbung tatsächlich verlangt hat. Alternativ war ab 2008 allerdings auch die Verwendung der unverbindlichen Preisempfehlung (UVP) des Herstellers zulässig gewesen.
Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, der in vergleichbaren nationalen Regelungen einen Verstoß gegen die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken sah, wurde die französische Regelung angepasst: Mit Erlass vom 11.03.2015 wurde den Gewerbetreibenden die Wahl des Referenzpreises freigestellt, wobei einschränkend galt, dass dessen Verwendung keine irreführende Geschäftspraxis im Sinne des Artikels L.121-2 des Verbrauchergesetzbuchs darstellen durfte.
Mit der Neuregelung übernimmt die EU im Wesentlichen die französische Regelung aus der Zeit vor März 2015, ist jedoch noch strenger als diese, da die Verwendung der UVP als Referenzpreis nach richtiger Ansicht nicht zulässig ist.
Die Umsetzung der Regelung in nationales Recht
Während in Deutschland die Umsetzung der Richtlinie durch eine Novellierung der Preisangabenverordnung (PAngV) erfolgt (dort § 11), setzte Frankreich die Änderung mit der Verordnung Nr. 2021-1734 vom 22. Dezember 2021 durch Einfügung eines neuen Artikels L.112-1-1 in das Verbrauchergesetzbuch um.
Nach beiden Regelungen müssen Händler künftig bei der Werbung mit einer Preisermäßigung den niedrigsten Gesamtpreis angeben, den sie innerhalb der letzten 30 Tage vor Beginn der Preisermäßigung gegenüber Verbrauchern angewendet haben.
Neu ! Update vom 08.10.2024
Da der Wortlaut des Art. 6a Abs. 1 der Richtlinie 98/6 nur die „Angabe“ des vorherigen Preises vorschreibt, war z. T. umstritten, ob dieser Preis zwingend als Berechnungsgrundlage für bezifferte Preisreduzierungen verwendet werden muss.
Wie der EuGH inzwischen klargestellt hat, ist dies der Fall (vgl. EuGH, Urt. v. 26.09.2024, Aldi Süd, C-330/23, Rn. 27). Eine in Prozent angegebene Preisreduzierung ist daher immer auf der Basis des niedrigsten Preises der letzten 30 Tage zu berechnen. Unzulässig ist es mithin, die Reduzierung auf der Grundlage eines anderen Referenzpreises zu berechnen, auch wenn der niedrigste Preis der letzten 30 Tage zusätzlich angegeben wird.
Diese Klarstellung des EuGH entspricht der in Frankreich seit Jahren geübten Rechtspraxis und dürfte die französischen Rechtsanwender daher kaum überraschen.
Bietet der Händler eine Ware vor der Bekanntgabe der Preisermäßigung seit weniger als 30 Tagen an, so ist der niedrigste Preis seit Beginn der Vermarktung anzugeben. Handelt es sich jedoch um ein Produkt, welches der Händler ganz neu in sein Sortiment aufnimmt, so kann er weiterhin mit Einführungspreisen werben oder den Preis in Relation zur unverbindlichen Preisempfehlung des Herstellers (UVP) setzen.
Die Regelung gilt für alle Vertriebskanäle, sowohl für den stationären Handel als auch für den Online-Handel[3]. Als niedrigster vorheriger Preis ist der Preis desjenigen Vertriebskanals maßgeblich, für den die Preisermäßigung jeweils erfolgt. Bei Waren, die in unterschiedlichen Varianten (z. B. Größe, Farbe etc.) mit jeweils unterschiedlichen Preisen existiert, ist auf das Produkt mit denselben Produkteigenschaften abzustellen.
Ausgenommen von der Regelung sind schnell verderbliche Waren oder Waren mit kurzer Haltbarkeit.
Eine weitere Ausnahme gilt für personalisierte Preisnachlässe, also solche, die der Gewerbetreibende nicht gegenüber allen Verbrauchern ankündigt, sondern die er einzelnen Verbrauchern individuell gewährt (z. B. Kulanz, Treuerabatt, Mengenrabatt, Kundentreueprogramm etc.).
Schließlich gilt die Pflicht zur Angabe des vorherigen Preises auch nicht für Preisvergleiche, bei denen ein Gewerbetreibender den von ihm praktizierten Preis mit dem Preis eines anderen Gewerbetreibenden vergleicht[4].
Offene Fragen
- Verwendung der Hersteller-UVP als Referenzpreis?
Derzeit verwenden viele Händler die unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers (UVP), um die Höhe der gewährten Preisermäßigung in Prozent zu berechnen. Diese Praxis ist nach der Neuregelung - abgesehen von dem Sonderfall der neu im Sortiment aufgenommenen Ware - meines Erachtens nicht mehr zulässig.
Die Frage ist allerdings umstritten. Richtig ist, dass der Artikel 6a der Preisangaben-Richtlinie die Angabe anderer Preise zusätzlich zu dem vorherigen Preis nicht ausschließt. Die Generaldirektion der Kommission für Justiz und Verbraucher hatte in einem Meeting der mitgliedsstaatlichen Expertengruppen Anfang 2020 erklärt, dass Vergleiche mit anderen als vorherigen Händlerpreisen, bspw. unverbindlichen Herstellerpreisempfehlungen, nicht in den Anwendungsbereich der Regelung fallen sollen. Daraus wurde verschiedentlich geschlossen, dass die neue Regelung einer UVP-Werbung unter Einhaltung der bisherigen Vorgaben grundsätzlich nicht entgegenstehe.
Aus den kürzlich veröffentlichten Leitlinien der Europäischen Kommission vom 29.12.2021 ergibt sich dagegen eindeutig, und meines Erachtens zutreffend, dass jede Preisermäßigung unter Verwendung des angegebenen vorherigen Preises als Vergleichswert anzugeben ist, d. h. jede angegebene prozentuale Ermäßigung auf dem vorherigen Preis beruhen muss[5].
Auch die Begründung des deutschen Verordnungsgebers zur Novelle der PAngV[6] steht dem nicht entgegen: Danach kann neben dem niedrigsten Preis der letzten 30 Tage und dem aktuellen Preis auch ein weiterer Preis angegeben werden, sofern klar und eindeutig ist, dass sich die angegebene Preisermäßigung auf den niedrigsten Preis der letzten 30 Tage bezieht. Auch bleibt es danach zulässig, mit einem Preisvergleich (z. B. zur UVP) zu werben, sofern für die Verbraucher klar erkennbar ist, dass es sich dabei um einen Preisvergleich handelt und die UVP nicht zur Berechnung des Preisnachlasses diente. Dies bedeutet meines Erachtens allerdings nur, dass künftig die Angabe der UVP zusätzlich zum niedrigsten Preis der letzten 30 Tage zulässig ist.
Entgegen der bisher gängigen Praxis darf die UVP aber künftig nicht mehr zur Berechnung der Preisermäßigung verwendet werden.
- Anwendung der Neuregelung auf Dienstleistungen?
Die EU-Richtlinie über Preisangaben gilt nur für „Waren“ im Sinne von beweglichen Gegenständen. Sie gilt also weder für Dienstleistungen noch für digitale Inhalte.
Während sich die Novellierung der deutschen PAngV dementsprechend nur auf körperliche Gegenstände (Waren, Warengruppen und Warensortimente) beschränkt, enthält die französische Regelung keine solche Einschränkung. Auch aus der Stellung des Artikels L.112-1-1 im französischen Verbrauchergesetzbuch ergibt sich kein Hinweis darauf, dass Dienstleistungen von seinem Anwendungsbereich ausgeschlossen werden sollen. Im Übrigen galten die früheren französischen Regelungen betreffend den Referenzpreis immer auch für Dienstleistungen. Mithin ist davon auszugehen, dass die französische Regelung auch Preisermäßigungen in Bezug auf Dienstleistungen erfassen soll.
Fraglich ist jedoch, ob ein solchermaßen erweiterter Anwendungsbereich der Norm mit den europarechtlichen Vorgaben vereinbar ist. Andernfalls stellt die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Artikels L.112-1-1 einen Verstoß gegen die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken dar, die es den Mitgliedstaaten verbietet, im Anwendungsbereich der Richtlinie strengere Vorschriften zu erlassen. Meines Erachtens muss der Artikel L.112-1-1 des französischen Verbrauchergesetzbuches europarechtskonform so ausgelegt werden, dass Dienstleistungen von seinem Anwendungsbereich ausgenommen sind.
Bis diese Frage gerichtlich eindeutig geklärt ist, sollten die Marktteilnehmer aber sicherheitshalber Vorsicht walten lassen und die weitere Rechtsentwicklung beobachten.
Anwendbarkeit der Regelung auf nicht messbare Preisermäßigungen?
Weiter ist fraglich, ob die Anwendung der Regelung eine „messbare“ Preisermäßigung voraussetzt. Laut der Begründung des deutschen Verordnungsgebers zur Novelle des PAngV fällt die reine Verwendung von allgemeinen Preisaussagen ohne werbliche Nutzung der konkreten, messbaren Preisermäßigung, so wie beispielsweise die Bewerbung von „Knallerpreis“, „Sale“ oder „Niedrigpreis“ nicht in den Anwendungsbereich des neuen § 11 PAngV. Danach sind Fälle in denen die Ermäßigung nicht in Euro oder durch eine Prozentangabe oder mittels einer Gegenüberstellung mit einem Referenzpreis („Streich-Preis“, „Statt-Preis“) angegeben wird, vom Anwendungsbereich der Regelung ausgenommen.
Dies entspricht im Übrigen auch der bisherigen französischen Rechtspraxis, wonach nur „bezifferte“ Preisnachlässe unter die gesetzlichen Regelungen betreffend den Referenzpreis fallen, nicht dagegen unbezifferte Angaben wie „Hammerpreise“.
Dieser Auffassung widersprechen jedoch die Leitlinien der Kommission, wonach der neue Artikel 6a der Preisangaben-Richtlinie unabhängig davon gilt, ob bei der Bekanntgabe einer Preisermäßigung auf eine messbare Preisermäßigung hingewiesen wird. Auch Ankündigungen wie „Schlussverkauf(spreis)“, „Sonderangebote“ oder „Black-Friday-Angebote“, die den Eindruck einer Preisermäßigung erwecken, sollen danach unter Artikel 6a fallen, was die Angabe des vorherigen Preises für die von der Ankündigung betroffenen Waren erforderlich macht[7].
Es wird abzuwarten sein, wie die Gerichte den Anwendungsbereich der Regelung auslegen. Meines Erachtens ist es allerdings kaum sachgerecht, die Angabe des vorherigen Preises in Fällen zu verlangen, in denen keine bezifferte bzw. messbare Preisreduzierung beworben wird.
- Dauer einer (schrittweise ansteigenden) Preisermäßigung
Die deutsche und die französische Regelung sehen vor, dass im Fall einer schrittweisen, ohne Unterbrechung ansteigenden Ermäßigung des Preises während der Dauer der Preisermäßigung der niedrigste Gesamtpreis angegeben werden kann, der zu Beginn der Aktion galt. Es muss also in diesem Fall nicht die jeweils unmittelbar vorangegangene Ermäßigung herangezogen werden, sondern es bleibt die Angabe des niedrigsten Preises bei Beginn der Aktion zulässig.
Dabei ist bislang unklar, über welchen Zeitraum mit dem ursprünglichen Preis geworben werden darf. Die Frage nach der zulässigen Höchstdauer einer Preisermäßigung stellt sich aber auch bei Aktionen, die keine schrittweise Erhöhung der Ermäßigung vorsehen.
Weder in Deutschland noch in Frankreich ist für Preisreduzierungen und Sonderangebote eine gesetzliche Maximaldauer vorgesehen. Daran ändert auch die jüngste Reform nichts. Soll mit einer Preisgegenüberstellung geworben werden, ist auch in Zukunft zu beachten, dass bei einer sehr langen Reduzierung der reduzierte Preis zum normalen Preis wird, so dass eine fortgeführte Preisgegenüberstellung mit dem ursprünglichen Preis irreführend sein kann. Bei der Beurteilung der zulässigen Dauer kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an.
Inkrafttreten der Neuregelung
Die Richtlinie sieht vor, dass die Änderungen bis zum 28. November 2021 in nationales Recht umzusetzen und ab dem 28. Mai 2022 anzuwenden sind.
Entsprechend dieser Vorgabe werden sowohl die deutsche als auch die französische Neuregelung ab dem 28. Mai 2022 gelten.
Sanktionen
Nach Artikel L.121-2 2° lit. c des französischen Verbrauchergesetzbuches stellt ein Verstoß gegen die Pflicht zur Angabe des vorherigen Preises eine irreführende Geschäftspraxis dar. Eine solche kann nach Artikel L.132-2 des französischen Verbrauchergesetzbuches mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einer Geldstrafe von bis zu 300.000 Euro (natürliche Personen) und 1,5 Mio. (juristische Personen) geahndet werden.
Auch nach dem deutschen Recht sind Bußgelder und Abmahnungen durch Wettbewerber möglich.
Praxistipps:
- Es obliegt den Händlern, rechtzeitig geeignete Vorkehrungen zu treffen, um künftig Bußgelder und Abmahnungen wegen eines Verstoßes gegen das neue Recht zu vermeiden.
- Zwar gilt die Neuregelung erst ab dem 28.5.2022, jedoch wurde bekannt, dass die französische DGCCRF ihre Kontrollpraxis bereits auf die neuen Vorschriften umgestellt hat und diese de facto bereits anwendet.
- Händler müssen insbesondere zeitnah damit beginnen, die von Ihnen praktizierten Preise beweisfest zu dokumentieren, damit im Fall einer Kontrolle oder einer Abmahnung der Nachweis geführt werden kann, dass der verwendete Referenzpreis auch tatsächlich dem niedrigsten Preis entspricht, der in den 30 Tagen vor Beginn der Aktion angewendet wurde.
- Gerne beraten wir deutsche Händler im Hinblick auf die Umsetzung der neuen Vorschriften auf dem französischen Markt.
[1] Richtlinie (EU) 2019/2161 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinien 98/6/EG, 2005/29/EG und 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union
[2] Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse
[3] Vgl. Ziffer 1.1 der Leitlinien der Kommission zur Auslegung und Anwendung von Artikel 6a der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse (2021/C 526/02)
08.10.2024