Gesetzesentwurf gegen „Ultra Fast Fashion“ in Frankreich
Frankreich unternimmt derzeit einen wegweisenden Schritt im Kampf gegen die ökologischen und sozialen Folgen der sogenannten „Fast Fashion“. Das französische Parlament hat im Januar 2025 den Entwurf eines „Gesetzes zur Verringerung der Umweltauswirkungen der Textilindustrie“ eingebracht, welches sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren befindet und künftig eine Vorbildfunktion für die Regulierung des Textilmarkts in Europa einnehmen könnte.
1 Hintergrund: Warum ein Gesetz gegen „Ultra Fast Fashion“?
Wie der Gesetzesentwurf erläutert, verursacht die Textilindustrie ca. 10 % der weltweiten Treibhausgasemissionen – mehr als die gesamte zivile Luftfahrt und der internationale Schiffsverkehr zusammen. Insbesondere das Geschäftsmodell der Fast Fashion und Ultra-Fast Fashion (wie Shein, Temu) führt zu enormen Umweltbelastungen durch kurze Lebenszyklen, extreme Überproduktion und fehlende Anreize zu Reparatur und Recycling.
Die Gesetzesbegründung illustriert diesen Trend mit dem Beispiel des chinesischen Bekleidungsunternehmens Shein, das durchschnittlich mehr als 7.200 neue Kleidungsmodelle pro Tag neu ins Sortiment aufnehme und den Verbrauchern insgesamt mehr als 470.000 verschiedene Produkte anbiete. Damit biete Shein 900-mal mehr Produkte an als eine traditionelle französische Marke.
2 Zentrale Regelungsinhalte Gesetzes zur Verringerung der Umweltauswirkungen der Textilindustrie
a) Gesetzliche Definition der Ultra-Fast Fashion
Das Gesetz soll erstmals eine Definition der Ultra Fast Fashion einführen. Der deutlich breitere Ansatz des ursprünglichen Gesetzesentwurfs, der auch große europäische Fast-Fashion-Anbieter wie Zara, H&M oder Kiabi umfasst hätte, wurde im Senat beschnitten. Nach der aktuellen Fassung des Gesetzesentwurfs soll ein neuer Artikel L.541-9-1-1 des französischen Umweltgesetzbuches die „Ultra Fast Fashion“ („mode ultra express“) als industrielle und kommerzielle Praktik von Herstellern definieren, die aufgrund der Vermarktung einer großen Anzahl neuer Produktreferenzen oder aufgrund geringer Anreize zur Reparatur dieser Produkte zu einer Verkürzung der Nutzungs- oder Lebensdauer der Produkte führen.
Die Regelung betrifft nicht nur neue Textilbekleidung, sondern auch alle weiteren Produkte, die gem. Artikel L.541-10-1 Nr. 11 des französischen Umweltgesetzbuches von der erweiterten Herstellerverantwortung betroffen sind (filière TLC), also auch Schuhe und Heimtextilien wie Bettwäsche, Handtücher, Tischtücher etc.
Die konkreten Schwellenwerte und Kriterien (Anzahl der neuen Referenzen pro Zeiteinheit, Produktlebens- oder Nutzungsdauer) sollen später per Verordnung festgelegt werden.
Die Senatsfassung des Gesetzes zielt augenscheinlich auf Onlineanbieter aus China wie Shein und Temu ab, will aber europäische Anbieter, die Ladengeschäfte in den Innenstädten unterhalten, möglichst verschonen. Die vom Senat vorgenommenen Einschränkungen des Anwendungsbereichs des Gesetzes werden von Umweltschutzverbänden als unambitioniert kritisiert.
b) Transparenzpflichten und Verbraucherinformation
Unternehmen, die Ultra Fast Fashion herstellen oder vertreiben, müssen nach dem Gesetzesentwurf auf ihren Online-Verkaufsplattformen künftig Informationshinweise zu Nachhaltigkeit, Recyclingmöglichkeiten und den ökologischen Auswirkungen ihrer Produkte platzieren. Auch der Ursprung der Ware muss künftig für Verbraucher klar ersichtlich sein.
c) Finanzielle Lenkung: Bonus-Malus-System und Abgaben
Das Gesetz sieht eine modulierte Umweltabgabe für Fast Fashion-Artikel vor, deren Höhe sich am Grad der Nachhaltigkeit der Produkte bemisst. Die Sätze steigen in den kommenden Jahren (Minimum 5 € pro Artikel ab 2025, 10 € ab 2030), wobei die Einnahmen zur Förderung nachhaltiger Marken und für Sammel-/Recyclingsysteme eingesetzt werden sollen.
d) Werbeverbot und Influencer-Marketing
Besonders umstritten: Ein geplantes Werbeverbot für Ultra-Fast Fashion – sowohl für klassische Werbung als auch Influencer-Kooperationen. Verstöße durch Influencer sollen mit einer Geldbuße von bis zu 100.000 Euro geahndet werden können.
e) Steuerliche Maßnahmen und Importregulierung
Neu aufgenommen wurde auch eine Paketsteuer auf Sendungen unter 2 kg aus dem Nicht-EU-Ausland (speziell für Billigmarktplätze) sowie das Ziel, Importnormen für Textilien auf EU-Ebene weiter zu harmonisieren und zu verschärfen.
3 Vergleich zu Deutschland und europäischer Kontext
Die französische Initiative ist die bislang umfassendste Regulierung von Ultra-Fast Fashion in Europa. In Deutschland und anderen EU-Staaten werden vergleichbare Regelungen insbesondere im Bereich Produkttransparenz und Ökodesign noch diskutiert bzw. erst im Rahmen der geplanten EU-Textilverordnung erwartet.
Wie bereits häufig in der Vergangenheit setzt Frankreich damit bereits vor Abschluss der europäischen Diskussion nationale Standards, die insbesondere internationale Plattformen wie Shein, Temu oder auch bekannte Marken wie Zara und H&M betreffen können, und die später in ähnlicher Form Eingang in die europäischen Gesetze finden sollen.
4 Nächste Schritte: Gesetzgebungsverfahren und Inkrafttreten
Das Gesetz ist nach Abstimmung im französischen Senat aktuell Gegenstand einer sog. „Commission mixte paritaire“ (Gemeinsame Kommission aus Nationalversammlung und Senat), die Kompromisse zwischen den Versionen aus beiden Kammern finden soll. Es wird erwartet, dass das Gesetz bis spätestens Ende 2025 endgültig verabschiedet und im Laufe des Jahres 2026 schrittweise in Kraft treten wird. Möglich sind im letzten Gesetzesstadium noch Präzisierungen bei der Definition und Reichweite der Maßnahmen. Schließlich wird es entscheidend auf die Ausführungsverordnung ankommen, welche die relevanten Schwellenwerte festsetzen soll.
5 Bedeutung für die Praxis und Handlungsempfehlung
Deutsche und französische Hersteller von Textilbekleidung, Schuhen und Heimtextilien, sowie E-Commerce-Anbieter und Plattformbetreiber sollten vorsorglich ihre Sortimente und Compliance-Prozesse (Produkttransparenz, Werbemaßnahmen, Ökodesign) auf die neuen Vorgaben überprüfen.
Besonders für Anbieter mit Schwerpunkt Import/Handel über Online-Plattformen ist mit relevanten Umstellungsaufwänden zu rechnen. Zu erwarten ist zudem ein Signalwirkungseffekt: Frankreich wird zum Vorreiter und der Druck auf andere EU-Staaten wächst, vergleichbare Maßnahmen zu ergreifen.
Für Rückfragen zu den praktischen Implikationen des französischen Gesetzes zur Verringerung der Umweltauswirkungen der Textilindustrie und seiner Umsetzung – insbesondere auch im grenzüberschreitenden Kontext – stehen wir Ihnen bei Qivive gern beratend zur Seite.
21.07.2025