Frankreich verhängt 40-Millionen-Euro-Strafe gegen SHEIN
Hintergrund und Anlass der Sanktion
Am 3. Juli 2025 gab die französische Wettbewerbs- und Anti-Betrugs-Behörde DGCCRF bekannt, dass sie dem Online-Modehändler SHEIN – genauer der für den französischen Markt zuständigen Infinite Style E-commerce LTD (ISEL) – eine Geldstrafe in Höhe von 40 Millionen Euro auferlegt hat. Grund hierfür ist die Feststellung, dass SHEIN wiederholt Verbraucher mit irreführenden Preisnachlässen sowie unbelegten Umweltversprechen (sog. „Greenwashing“) getäuscht hat. SHEIN hat dieser Strafe im Rahmen eines Vergleichs mit den französischen Behörden zugestimmt.
Kontrollen der DGCCRF ergaben, dass bei einem Großteil der auf der französischen Plattform angebotenen Produkte falsche oder irreführende Preisnachlässe kommuniziert wurden. Zwischen Oktober 2022 und August 2023 stellte die Behörde bei 57 % der untersuchten „Rabatte“ fest, dass gegenüber dem gesetzlich definierten Referenzpreis in Wahrheit gar keine Preissenkung vorlag, bei 19 % war der Preisnachlass geringer als angegeben und in 11 % der Fälle entsprach die vermeintliche Reduzierung sogar einer Preissteigerung.
Einer der Kernvorwürfe: SHEIN hat die Preise teilweise kurz vor Rabattaktionen angehoben oder frühere Preissenkungen bei der Berechnung des Rabattes unberücksichtigt gelassen, was ein Verstoß gegen die rechtlichen Vorgaben zur Preiswerbung ist, nach denen der als Referenz angegebene Preis der niedrigste Preis der letzten 30 Tage sein muss.
Im Bereich Environmental, Social & Governance (ESG) monierte die DGCCRF, dass SHEIN auf seiner Website mit angeblichen Umweltmaßnahmen (wie einer behaupteten Reduzierung von CO2-Emissionen um 25 %) warb, ohne imstande zu sein, diese Angaben zu belegen, ein Beispiel für sogenanntes Greenwashing.
Wettbewerbsrechtliche und verbraucherschutzrechtliche Einordnung
Unlautere Preiswerbung und Irreführung
Die Durchsetzung klarer Vorschriften bei Preisnachlässen folgt nicht nur französischem, sondern auch EU-Recht. Zentrales Element: Es darf nur der tatsächlich niedrigste Referenzpreis innerhalb von 30 Tagen vor Aktionsbeginn als „Streichpreis“ bzw. rabattfähige Grundlage verwendet werden. Ein Umgehen dieses Referenzzeitraums gilt als irreführend und damit wettbewerbswidrig.
Greenwashing und ESG-Compliance
Neben der irreführenden Preisdarstellung gerät auch das Thema Greenwashing verstärkt in den Fokus der französischen Behörden. Während die 2024 in Kraft getretene EU-Richtlinie 2024/825 und die ebenfalls verabschiedete Empowerment-Richtlinie künftig besseren Schutz der Verbraucher vor unlauteren Umweltwerbeaussagen bringen soll, verfügt Frankreich bereits seit einigen Jahren über gesetzliche Regeln zur Sanktionierung unbelegter bzw. falscher Umweltaussagen.
Auswirkungen auf die Praxis und deutsch-französische Zusammenarbeit
Gerade Unternehmen mit grenzüberschreitender Geschäftstätigkeit müssen ihre Compliance-Strukturen und Marketingpraktiken an die verschärften nationalen und europäischen Vorgaben anpassen.
Die Untersuchung und Sanktionierung von SHEIN illustriert deutlich die verschärfte Prüfungsdichte in ganz Europa. Aktuell steht der Konzern zudem im Fokus der europäischen Verbraucherbehörden, welche auch unter Mithilfe der Europäischen Kommission sowie der Consumer Protection Cooperation Network (CPC Network) eine EU-weite Untersuchung zu konsumsteuernden „Dark Patterns“ und Greenwashing eingeleitet haben. SHEIN wurde aufgefordert, binnen eines Monats zu den erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Andernfalls drohen weitere, möglicherweise EU-weite Sanktionen, die sich am Umsatz in den einzelnen Mitgliedsstaaten orientieren können.
Parallel wird im französischen Parlament derzeit über einen Gesetzesvorschlag zur Regulierung der „Ultra-Fast Fashion“ verhandelt, welcher ein Bündel von Maßnahmen vorsieht: darunter Umweltaufschläge pro verkauftem Stück, umfangreiche Transparenzpflichten und Werbebeschränkungen für besonders günstige Mode, alles mit dem Ziel, Umweltbelastungen zu reduzieren und Verbraucher zu schützen.
Juristische Einordnung und Handlungsempfehlung
Angesichts der Vielzahl aktueller und in Kürze greifender Neuerungen besteht Handlungsbedarf für sämtliche in Europa tätigen Unternehmen im Bereich Fashion / Retail:
- Preisaktionen sorgfältig konzipieren: Referenz- und Aktionspreise müssen EU-weit nachvollziehbar, dokumentiert und transparent sein. Der Rückgriff auf künstlich geschaffene oder nicht marktkonforme Referenzpreise kann zu erheblichen Sanktionen führen.
- Werbung mit Umweltvorteilen belegen: Jegliche explizite oder implizite Umweltaussage muss durch belastbare Nachweise belegt werden. Die geplante Green Claims-Richtlinie könnte künftig noch einmal strengere Anforderungen an Nachweis und Zertifizierung stellen.
- Strukturen anpassen: Auch für deutsche Unternehmen mit Vertrieb oder E-Commerce in Frankreich gilt es, ihre Marketing- und Complianceprozesse an die wachsenden Anforderungen anzupassen.
Fazit und Ausblick
Die Sanktionspraxis der DGCCRF gegen SHEIN sowie die aktuellen Gesetzesinitiativen in Frankreich und auf EU-Ebene markieren einen Wendepunkt im Kampf gegen irreführende Preisaktionen und Greenwashing. Unternehmen, die auf dem deutschen, französischen oder gesamteuropäischen Markt aktiv sind, sollten ihre Compliance- und Marketingprozesse auf den Prüfstand stellen und rechtssicher gestalten – nicht zuletzt im Hinblick auf Haftungsrisiken und Reputationsschäden.
Die deutsch-französische Wirtschaftskanzlei Qivive unterstützt Sie gerne bei der rechtskonformen Umsetzung aller marktrelevanten Maßnahmen.
04.07.2025