Schiedsspruchkontrolle in Frankreich: Der Kassationsgerichtshof bezieht Stellung
Die Überprüfung von Schiedssprüchen durch französische staatliche Gerichte auf Verstöße gegen den Ordre public im Rahmen von Aufhebungsverfahren war bereits Gegenstand einer Vielzahl von Urteilen des Pariser Berufungsgerichts und in den letzten Jahren ein immer wiederkehrendes Thema in der Fachwelt. Dabei stellt sich stets die Frage, in welchen Umfang französische staatliche Gerichte Schiedssprüche kontrollieren dürfen: Soll der Umfang der Prüfung eingeschränkt sein, um das Verbot der révision au fond zu wahren, oder soll vielmehr eine weitreichende Kontrolle erfolgen, insbesondere in Fällen, die den Kernbereich des Ordre public berühren (etwa in Fällen von Korruption, Geldwäsche usw.)?
Wir haben hierzu bereits mehrere Artikel veröffentlicht[1], in welchen wir die Entwicklung der Rechtsprechung der französischen Berufungsgerichte darstellen, die nach und nach zu einer immer weitreichenderen Kontrolle der Schiedssprüche übergegangen sind. Wie wir dort aufgezeigt hatten, schwieg der französischen Kassationsgerichtshof (Cour de cassation) bislang zu der Frage und bot damit Raum für Diskussionen.
Mit seinem Urteil vom 23. März 2022 (n° 17-17.981) in der Sache Belokon, die Geldwäschevorwürfe betraf, hat der Kassationsgerichtshof diese Unklarheit nun beendet.
Das Pariser Berufungsgericht hatte in seinem Urteil darauf hingewiesen, dass es seine Aufgabe sei, zu verhindern, dass die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs dazu führt, dass eine der Parteien Vorteile aus einem Geldwäschesachverhalt zieht. Darüber hinaus hielt es fest, dass es für den Nachweis der Geldwäsche nicht auf die im Schiedsverfahren vorgebrachten Beweismittel beschränkt sei und nicht an die vom Schiedsgericht getroffenen Feststellungen und Beurteilungen gebunden sei.
Das Urteil des Kassationsgerichtshof ist in zweierlei Hinsicht interessant.
Nachdem er zunächst an die Pflicht des für das Anfechtungsverfahren zuständigen Gerichts erinnert, zu prüfen, ob die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs mit dem Ordre public vereinbar ist, bestätigt er die Argumentation des Berufungsgerichts und damit den Grundsatz einer sehr weitreichenden Überprüfung des Schiedsspruchs im Rahmen der Ordre public-Kontrolle. Damit gibt er den Berufungsgerichten einen Freibrief, im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens eine Neubewertung des Sachverhalts vorzunehmen.
Darüber hinaus fasst der französischen Kassationsgerichtshof seine Anforderungen an einen Verstoß gegen den Ordre public neu. Er hält es im vorliegenden Fall einen „qualifizierten“ („caractérisée“) Verstoß für ausreichend, und gibt damit das zuvor verwendete Kriterium eines "offensichtlichen, tatsächlichen und konkreten" („manifeste, effective et concrète“) Verstoßes auf. Damit senkt der französischen Kassationsgerichtshof (und das Pariser Berufungsgericht folgte ihm in einem kürzlich ergangenen Urteil vom 5. April 2022[2]) die Anforderungen an die Voraussetzungen des Verstoßes, da dieser insbesondere nicht mehr "offensichtlich" sein muss. Dies könnte zu einer häufigeren Aufhebung von Schiedssprüchen führen. Es bleibt jedoch abzuwarten, was der Kassationsgerichtshof mit dem Begriff "qualifiziert" genau meint, da es derzeit keine Definition dieses Begriffs gibt. Man wird also die zukünftige Rechtsprechung zu diesem Punkt aufmerksam verfolgen müssen.
Das neue Urteil des Pariser Berufungsgerichts[3] stützt sich jedoch weiterhin als Beweismittel für einen Verstoß auf ein "Bündel von hinreichend schwerwiegenden, konkreten und übereinstimmenden Indizien". Es muss daher aufmerksam verfolgt werden, welche Auswirkungen das Kassationsurteil auf den Umfang der Kontrolle des Schiedsspruchs durch den staatlichen Richter in der Praxis haben wird.
[1]Schiedsspruchskontrolle in Frankreich: Korruption erneut auf dem Prüfstand und Besorgniserregende Entwicklung der Schiedsspruchskontrolle in Frankreich?
[2] Berufungsgericht Paris, 5 April 2022, n° 20/03242.
[3] Berufungsgericht Paris, 5 April 2022, n° 20/03242.