Die Ernennung von Schiedsrichtern bei Uneinigkeit zwischen den Parteien
Der französische Kassationsgerichtshof hat am 9. November 2022[1] ein Urteil zum Thema der Bestellung des Schiedsgerichts bei Uneinigkeit erlassen.
Die Hintergründe zum Urteil
Vier Gesellschaften (britisch, portugiesisch und angolanisch) sind 25 %ige Anteilseigner einer anderen angolanischen Gesellschaft und Parteien eines im Jahr 2000 geschlossenen Gesellschaftsvertrags. Dieser Gesellschaftsvertrag enthält eine Schiedsklausel. Die portugiesische Gesellschaft hat wegen einer angeblichen Verletzung des Gesellschaftsvertrags ein Schiedsverfahren gegen ihre drei Mitgesellschafterinnen eingeleitet. Sie hat die Bildung eines Schiedsgerichts aus drei Schiedsrichtern beantragt und nicht aus fünf, wie in der Schiedsklausel vorgesehen. Sie war der Meinung, dass sie einen Schiedsrichter ernennen sollte, während ein zweiter Schiedsrichter von ihren Mitgesellschafterinnen gemeinsam ernannt werden sollte. Die beiden Schiedsrichter sollten dann gemeinsam einen dritten Schiedsrichter ernennen. Die Tatsache, dass ihre Mitgesellschafterinnen einen einzigen gemeinsamen Schiedsrichter ernennen müssen, wäre dadurch gerechtfertigt, dass sie übereinstimmende Interessen haben.
Trotz dieses Antrags der portugiesischen Gesellschaft hat schließlich jede Partei ihren eigenen Schiedsrichter ernannt. Daher hat der Schiedsgerichtshof der ICC, nachdem er versucht hat, eine Einigung zwischen den Parteien über die Bedingungen für die Bildung des Schiedsgerichts zu erzielen, vier Schiedsrichter und einen Vorsitzenden für das Schiedsverfahren ernannt.
Einer der Beklagten hat ein Verfahren zur Aufhebung des Schiedsspruchs eingeleitet. Als einer der zahlreichen vorgebrachten Aufhebungsgründe machte er insbesondere geltend, dass das Schiedsgericht die Regeln über die ordnungsgemäße Konstituierung des Schiedsgerichts (insbesondere Artikel 11(6) und 12(8) der ICC-Schiedsgerichtsordnung) nicht eingehalten habe. Das Pariser Berufungsgericht hat den Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs abgewiesen. Die genannte Beklagte hat daher Kassationsbeschwerde eingelegt.
Der erste Kassationsgrund der Gesellschaft, die die Kassationsbeschwerde eingelegt hat, lautet, dass das Berufungsgericht gegen die Artikel 1453, 1506 Absatz 2 und 1520 Absatz 2 der französischen Zivilprozessordnung, die Artikel 11(6), 12(8) und 41 der ICC-Schiedsgerichtsordnung sowie gegen den Grundsatz der Gleichheit der Parteien bei der Ernennung von Schiedsrichtern verstoßen hat.
Die Begründung des französischen Kassationsgerichtshofs
In Erwiderung auf diesen Kassationsgrund weist der Kassationsgerichtshof auf Art. 12(8) der ICC-Schiedsgerichtsordnung hin, auf den die Schiedsklausel verweist und der vorsieht, dass das Schiedsgericht alle Mitglieder des Schiedsgerichts ernennt, wenn sich die Parteien nicht über die Bestellung des Schiedsgerichts einigen können. Der Kassationsgerichtshof stellt dann fest, dass laut dem Berufungsgericht die klagende Gesellschaft ihren Schiedsrichter unter der Bedingung ernannt hat, dass die beklagten Gesellschaften aufgrund einer Interessenkonvergenz zwischen ihnen gemeinsam einen einzigen Schiedsrichter ernennen. Die beklagten Gesellschaften haben ihre Ablehnung eines dreiköpfigen Schiedsgerichts dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie jeweils einen Schiedsrichter ernannt haben.
Folglich hat die Existenz dieser Meinungsverschiedenheit zwischen den Parteien über die Modalitäten der Bestellung des Schiedsgerichts gerechtfertigt, dass allen Parteien das Recht vorenthalten wurde, ihren Schiedsrichter zu wählen und dass allein das ICC-Schiedsgericht die Schiedsrichter und den Vorsitzenden ernannt hat. Der französische Kassationsgerichtshof weist darauf hin, dass der Gleichheitsgrundsatz gewahrt wurde, da allen Parteien die Befugnis zur Ernennung ihres Schiedsrichters entzogen wurde.
Fazit
Wenn die Parteien Uneinigkeit darüber äußern, wie das Schiedsgericht gebildet werden soll und wenn die ICC-Schiedsgerichtsordnung dies vorsieht, kann das Schiedsgericht ihnen alle Befugnisse zur Ernennung von Schiedsrichtern entziehen.
[1] Kassationshof, 1. Zivilkammer, 9 November 2022, n° 21-17.203.
23.12.2022