Tragfähigkeit eines Übernahmeangebots ist nicht zu prüfen
Die Kammer für Handelssachen der französischen Cour de Cassation hat in einer Entscheidung vom 3. März 2023 klargestellt, dass eine Muttergesellschaft, die ihre Anteile an einer zahlungsunfähigen Tochtergesellschaft verkauft, nicht verpflichtet ist, sicherzustellen, dass der Käufer über ein wirtschaftlich und finanziell tragfähiges Rettungsprojekt für die Tochtergesellschaft verfügt.
Diese Entscheidung wurde im Zusammenhang mit dem Verkauf der Aktien von Prevent Glass durch die Muttergesellschaft Prevent Dev GmbH an die deutsche Erlensee 2 VV GmbH (später International Corporate Investors GmbH, kurz: ICI) getroffen. Die Übernahme erfolgte für einen symbolischen Preis von einem Euro, als Prevent Glass bereits in Zahlungsschwierigkeiten war. Über das Vermögen der neuen Gesellschaft Prevent Glass wurde dann im November 2011 ein Insolvenzverfahren eröffnet und schließlich wurde die Gesellschaft liquidiert, wobei alle 2.000 Mitarbeitenden entlassen wurden.
Infolge der Liquidation haben 30 ehemalige Mitarbeitende von Prevent Glass Klage erhoben und behauptet, dass der Verkauf der Anteile an ICI leichtfertig oder sogar böswillig erfolgt sei. Der Vorwurf war, dass die Muttergesellschaft Prevent Dev GmbH und die mit ihr verbundene Gesellschaft Prevent TWB GmbH & Co. KG die Einstellung der Geschäftstätigkeit und die Entlassung von Mitarbeitenden ausgelagert hätten. Volkswagen, der wichtigste Kunde von Prevent Glass, wurde ebenfalls beschuldigt, an der konzertierten Aktion beteiligt gewesen zu sein.
Das Gericht in erster Instanz gab den ehemaligen Mitarbeitenden zunächst recht und verurteilten alle Beteiligten, einschließlich Volkswagen, zur Zahlung von Schadensersatz. In der Berufungsinstanz wurde die Entscheidung jedoch aufgehoben. Das Berufungsgericht fand keine Beweise dafür, dass Volkswagen an der Übernahme beteiligt war oder dass Prevent Dev GmbH und ICI eine Schuld trifft.
Die Entscheidung der Chambre Commerciale der Cour de Cassation hat diese Sichtweise nunmehr bestätigt und festgestellt, dass es keine rechtliche Grundlage gibt, die besagt, dass eine Muttergesellschaft bei einem Verkauf von Anteilen an eine Tochtergesellschaft in Zahlungsunfähigkeit verpflichtet ist, sicherzustellen, dass der Käufer über ein tragfähiges Rettungsprojekt verfügt.
Es bleibt abzuwarten, ob diese Entscheidung Auswirkungen auf ähnliche Fälle haben wird.
15.03.2023