Unzulässige Rabatte in der Lieferkette: Das Berufungsgericht Paris und die „eingekleideten“ Preise
Am 24. April 2024 fällte das Berufungsgericht Paris ein interessantes Urteil zur Frage der Rechtmäßigkeit von Preisnachlässen in B2B-Lieferverträgen. Die Entscheidung wirft ein Schlaglicht auf das in Frankreich geltende Verbot der Gewährung von Vorteilen ohne angemessene Gegenleistung im unternehmerischen Geschäftsverkehr und die im Streitfall hierfür zu erbringenden Nachweise.
Hintergrund des Falles
LPK, ein Hersteller von Wasch- und Reinigungsmitteln für den professionellen Gebrauch, belieferte seinen Kunden Orapi über mehrere Jahre mit Produkten, die dieser unter einer Handelsmarke weiterverkaufte. Nach Beendigung der Lieferbeziehung kam es zum Streit und LPK verlangte unter anderem die Rückzahlung von unbedingten Jahresendrabatten (remises de fin d'année), die LPK Orapi in den Vorjahren jeweils gewährt hatte. Diese Rabatte waren jährlich in den Preisvereinbarungen zwischen den Parteien festgelegt worden und hatten stets 13 % des Umsatzes betragen. Als Grund für die Gewährung dieses Rabatts wurden in den Preisvereinbarungen verschiedene schlagwortartige Begriffe wie „Schulung“, „Strategie“, „Produktplatzierung“, „Trade“, „Geschäftsbelebung“ genannt. In dem Verfahren machte LPK jedoch geltend, dass diese Rabatte Vorteile ohne angemessene Gegenleistung im Sinne von Artikel L. 442-1 I, 1° des französischen Handelsgesetzbuchs darstellten.
Wesentliche Rechtsfrage
Nach der zuvor genannten Vorschrift ist es im unternehmerischen Geschäftsverkehr verboten, sich von einem Geschäftspartner einen Vorteil ohne (angemessene) Gegenleistung gewähren zu lassen. Dieses Verbot gehört zu den sog. „pratiques restrictives“ des französischen Rechts, d. h. verbotenen Geschäftspraktiken, die untersagt sind, ohne dass es des Nachweises einer konkreten Wettbewerbsbeeinträchtigung oder Marktbeherrschung bedarf.
Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stand daher die Frage, ob den von LPK gewährten Rabatten eine reale und werthaltige Gegenleistung von Orapi gegenüberstand oder ob die in den Preisvereinbarungen enthaltenen Leistungsangaben („Schulung“, „Strategie“, „Produktplatzierung“ etc.) lediglich den Versuch darstellten, das Fehlen einer Gegenleistung zu verschleiern.
Das Vorbringen der Parteien
Orapi trug hierzu vor, dass sie LPK die vereinbarten Leistungen im Gegenzug zu den gewährten Rabatten erbracht habe und legte einige Unterlagen vor, die dies belegen sollten. LPK habe sich im Vorfeld des Verfahrens auch nie über die Höhe der Rabatte oder gar eine Nichterfüllung der von Orapi zu erbringenden Dienstleistungen beschwert. Aus dem Umstand, dass diese Leistungen in den Preisvereinbarungen nur schlagwortartig erwähnt worden seien, könne nicht geschlossen werden, dass diese Leistungen nicht konkret erbracht worden seien.
LPK bestritt hingegen, dass Orapi die fraglichen Leistungen erbracht habe. Sie wies darauf hin, dass Orapi in ihrer Korrespondenz mehrfach darauf hingewiesen habe, dass der vereinbarte Preisnachlass von 13 % „eingekleidet“ (habillé bzw. rhabillé) werden müsse. Schon aus der Verwendung dieser Formulierung ergebe sich, dass der Hinweis auf fiktive Gegenleistungen nur der Verschleierung gedient habe, um die Preisnachlässe zu legitimieren.
Das Urteil
Das Berufungsgericht stellte zunächst fest, dass die Beweislast für die tatsächliche Erbringung der Leistungen bei Orapi liege. Es stellte ferner fest, dass die bloße Verwendung der Formulierung „Einkleidung des Preises“ nicht ausreiche, um das Fehlen einer angemessenen Gegenleistung festzustellen. Allerdings sei diese Formulierung zumindest ein Indiz für das Fehlen einer angemessenen Gegenleistung. In diesem Zusammenhang hob das Gericht hervor, dass es auffällig sei, dass der „Jahresendrabatt“ über Jahre hinweg stets 13 % des Umsatzes betragen habe, obwohl in den jährlichen Preisvereinbarungen jeweils ganz unterschiedliche Gegenleistungen genannt worden seien.
Die von Orapi vorgelegten Nachweise, wie Produktpräsentationen und Marketingmaterialien, reichten nach Ansicht des Gerichts nicht aus, um zu belegen, dass den jährlich gewährten Rabatten konkrete und wirtschaftlich werthaltige Gegenleistungen gegenüberstanden, so dass das Berufungsgericht die erstinstanzliche Verurteilung des Unternehmens zur Rückerstattung der Rabatte bestätigte.
Vergleich mit der Situation in Deutschland
Mit der Sanktionierung der in Art. L.442-1 ff. des Handelsgesetzbuchs (Code de commerce) vorgesehenen „restriktiven Praktiken" beschreitet Frankreich einen Sonderweg. Die Vorschriften sind systematisch zwischen dem Lauterkeitsrecht und dem Kartellrecht angesiedelt und betreffen das Verhältnis zwischen Unternehmern, die auf verschiedenen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind. Ziel der Regelungen ist es, das Kräfteverhältnis zwischen den Handelspartnern auszugleichen und die jeweils schwächere Partei zu schützen.
Auch im deutschen Recht gibt es gesetzliche Regelungen, die eine unangemessene Benachteiligung von Unternehmen verhindern sollen. Nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GWB sind z. B. missbräuchliche Rabattgestaltungen und der sog. Ausbeutungsmissbrauch verboten. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass das handelnde Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung oder zumindest relative Marktmacht i. S. d. § 20 I, Ia GWB innehat. Diese Tatbestandsvoraussetzungen fehlen bei den „restriktiven Praktiken" des französischen Rechts.
Die Gefahr für Wirtschaftsteilnehmende, nach französischem Recht wegen einer „pratique restrictive“ sanktioniert zu werden, ist daher aufgrund der geringeren Anforderungen deutlich höher als eine Sanktionierung auf der Grundlage der §§ 19, 20 GWB.
10.09.2024