Vorsicht vor unbeabsichtigtem Rechtsmittelverzicht im französischen Schiedsverfahren
Pariser Berufungsgericht (CA Paris), 15 Juni 2021, Nr. 20/07999
Eine Partei, die im Rahmen eines in Frankreich geführten Schiedsverfahrens einen Antrag auf Ablehnung des Schiedsrichters vor der Schiedsinstitution stellt, muss, wenn der Antrag zurückgewiesen wird, ihre Einwände vor dem Schiedsgericht wiederholen, um sich in einem späteren Aufhebungsverfahren darauf berufen zu können. Dies hat jüngst das Berufungsgericht Paris entschieden.
Einer der Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit ist, dass die Parteien die Schiedsrichter selbst benennen können. Gleichzeitig birgt diese Freiheit auch das Risiko, dass bezüglich der Wahl des Schiedsrichters Uneinigkeit zwischen den Parteien herrscht. Anträge auf Ablehnung von Schiedsrichtern wegen Befangenheit sind daher in der Praxis keine Seltenheit.
Nach französischem Recht kann die Befangeheit des Schiedsrichters darüber hinaus auch zur nachträglichen Aufhebung des Schiedsspruchs führen. Artikel 1520 der französischen Zivilprozessordnung (CPC) enthält eine abschließende Aufzählung der Gründe, die zur Aufhebung eines Schiedsspruchs führen können, darunter auch die nicht ordnungsgemäße Konstituierung des Schiedsgerichts (Art. 1520 2° CPC) und der Verstoß des Schiedsspruchs gegen die internationale öffentliche Ordnung (ordre public international) (Art. 1520 5° CPC).
Aufhebung des Schiedsspruchs wegen nicht ordnungsgemäßer Bildung des Schiedsgerichts (Art. 1520 2° CPC)
Im vorliegenden Fall führte die Partei eines internationalen Schiedsverfahrens Vorbehalte zur Unabhängigkeit des Schiedsrichters an, um auf der Rechtsgrundlage des Artikels 1520 2° CPC die nachträchliche Aufhebung des Schiedsspruchs vor dem Berufungsgericht Paris zu beantragen.
Das französische Berufungsgericht wies den Antrag jedoch als unzulässig ab und begründete seine Entscheidung damit, dass die Klägerin ihre Einwände bezüglich der Befangeheit des Schiedsrichters im Schiedsverfahren hätte geltend machen müssen, um sich im Rahmen einer späteren Aufhebungsklage darauf berufen zu können.
Tatsächlich sieht Artikel 1466 der französischen Zivilprozessordnung vor, dass eine Partei, die es wissentlich und ohne triftigen Grund unterlässt, eine Rechtswidrigkeit rechtzeitig vor dem Schiedsgericht geltend zu machen, so behandelt wird, als habe sie auf die Geltendmachung dieser Rechtswidrigkeit verzichtet.
Zwar hatte die Partei im Rahmen des Schiedsverfahrens mehrfach (erfolglos) beantragt, den Schiedsrichter wegen des Verdachts der Befangenheit abzulehnen. Nach der für das Verfahren geltenden Schiedsverfahrensordnung waren diese Anträge jedoch vor der zuständigen Schiedsinstitution (hier: der internationale Schiedsgerichtshof der ICC) und nicht vor dem Schiedsgericht gestellt worden. Zur Abwendung der Präklusion nach Artikel 1466 CPC hätte die Partei ihre Einwände nach der Ablehnung der Anträge durch die Schiedsinstitution jedoch zusätzlich vor dem Schiedsgericht geltend machen müssen, so das Berufungsgericht.
Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Verstoßes gegen die internationale öffentliche Ordnung (Art. 1520 5° CPC)
Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass das Gericht einer Prüfung des Vorwurfs der Befangenheit auf der Rechtsgrundlage des Artikels 1520 5° CPC zugestimmt hat.
Die Klägerin hatte angeführt, dass der Schiedsspruch aufgrund einer offenkundig mangelnden Unabhängigkeit des Schiedsrichters auch gegen die internationale öffentliche Ordnung verstoße, und daher ebenfalls die Aufhebung des Schiedsspruchs auf der Grundlage des Artikels 1520 5° CPC beantragt.
Auch wenn der Antrag nach entsprechender Prüfung als unbegründet abwiesen wurde, ist die Tatsache, dass das Gericht den Antrag für zulässig erklärt hat, insofern interessant, als dies die Frage aufwirft, ob die Berufung auf Artikel 1520 5° CPC in zukünftigen Aufhebungsverfahren eine Umgehung der Präklusion nach Artikel 1466 CPC ermöglicht.
Praxistipp
Die jüngste Rechtsprechung des Berufungsgerichts Paris kann durchaus als widersprüchlich empfunden werden. Einerseits verschärft das Gericht die formellen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Aufhebungsklage, indem es seine Entscheidung im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung auf Artikel 1466 CPC stützt, dessen Sinn gerade darin besteht, eine Partei daran zu hindern, sich Rechtsmittel für den Fall vorzubehalten, dass der Schiedsspruch für sie ungünstig ausfällt.1 Andererseits eröffnet die Entscheidung des Gerichts die Möglichkeit, genau diesen Artikel unter Berufung auf die ordre public international zu umgehen.
In der schiedsverfahrensrechtlichen Praxis bedeutet dies für die Parteien Folgendes:
- Im Hinblick auf ein späteres Aufhebungsverfahren genügt es nicht, einen Antrag auf Ablehnung des Schiedsrichters an die zuständige Schiedsinstitution zu richten. Vielmehr muss der Antragsteller zur Vermeidung eines unbeabsichtigten Rechtsmittelverzichts seine Vorbehalte zur Unabhängigkeit des Schiedsrichters nach Ablehnung des Antrags vor dem Schiedsgericht wiederholen.
- Um das Risiko der Unzulässigkeit einer Aufhebungsklage wegen eines möglichen Rechtsmittelverzichts im Zusammenhang mit Art. 1466 CPC zu mindern, empfiehlt es sich, Anträge auf Aufhebung eines Schiedsspruchs wegen Befangenheit eines Schiedsrichters vorsorglich auch auf Art. 1520, 5° CPC zu stützen.
Ob sich diese Vorgehensweise tatsächlich als Mittel zur Umgehung des Artikels 1466 CPC etabliert, bleibt abzuwarten. Im Sinne des Gesetzgebers dürfte dies vermutlich nicht sein. Wir werden diesbezüglich in jedem Fall die Entwicklung der Rechtsprechung für Sie verfolgen.
1 Über die Problematik der Auslegung des Rechtsverzichts nach Art. 1466 CPC im französischen Aufhebungsverfahren haben wir jüngst berichtet.
07.09.2021