Abberufung eines Geschäftsführers in zwei französischen Gesellschaften
In der jüngeren Rechtsprechung des Pariser Berufungsgerichts (CA Paris 4. Juni 2024, Nr. 22/07491, X ./. Sté HRO France) wurde bestätigt, dass die (gerechtfertigte) Beendigung eines Arbeitsverhältnisses – etwa aufgrund einer schwerwiegenden Verfehlung – auch die Abberufung als Geschäftsführer derselben Gesellschaft begründen kann. Darüber hinaus kann diese Abberufung wiederum den Ausschlag für die Abberufung des Betroffenen in einer anderen Gesellschaft geben, sofern zwischen den Gesellschaften eine enge Verbindung besteht und die Funktionen des gemeinsamen Geschäftsführers dadurch in einem untrennbaren Zusammenhang stehen.
1 Sachverhalt
Ein Immobilienprojekt wurde ursprünglich von einer französischen SARL (im Folgenden „A“) betreut. Deren Geschäftsführer war zugleich Arbeitnehmer dieser Gesellschaft. Zur Verwirklichung des Projekts wurde später eine weitere SARL (im Folgenden „B“) gegründet, in der derselbe Geschäftsführer eingesetzt wurde.
Nach einigen Jahren kam es in der Gesellschaft A zur Abberufung des Geschäftsführers. Kurz darauf wurde er wegen groben Fehlverhaltens gekündigt. Daraufhin beschloss der Alleingesellschafter der Gesellschaft B ebenfalls, den gemeinsamen Geschäftsführer abzuberufen. Gegen beide Abberufungen klagte der Betroffene mit der Begründung, es gebe kein „juste motif“ (also keinen „wichtigen Grund“) für die Mandatsbeendigungen.
2 Entscheidung des Pariser Berufungsgerichts
Das Pariser Berufungsgericht wies die Klage ab und bestätigte damit die Rechtsmäßigkeit beider Abberufungen.
- Abberufung in Gesellschaft A
Die französischen Richter stellten fest, dass das als grob eingestufte Fehlverhalten, welches auch zur arbeitsrechtlichen Kündigung geführt hatte, die Gesellschaft A erheblich schädigte.
Zeugen berichteten von einem „brutalen und herablassenden“ Verhalten, das dem Ansehen der Gesellschaft bei Geschäftspartnern schadete und somit dem Gesellschaftsinteresse widersprach.
Die Tatsache, dass bereits ein Arbeitsgericht (Conseil de prud’hommes) dieses Verhalten als ausreichenden Kündigungsgrund ansah, berühre nicht die Unabhängigkeit der organschaftlichen Position. Denn bei gravierenden Pflichtverletzungen können dieselben Tatsachen sowohl die Kündigung des Arbeitsvertrags als auch die Abberufung des Geschäftsführers rechtfertigen.
- Abberufung in Gesellschaft B
Die Gesellschaft B war in ihrer Tätigkeit eng mit der Gesellschaft A verzahnt und verfolgte ihr Projekt nur gemeinsam mit A. Die Gerichte hoben hervor, dass die Bestellung eines gemeinsamen Geschäftsführers in diesem Kontext vollkommen nachvollziehbar war.
Demnach wäre es schwer durchführbar gewesen, einen Geschäftsführer in Gesellschaft B zu belassen, der in Gesellschaft A weder die Funktion eines Geschäftsführers noch eines Verantwortlichen hatte.
In dieser inhaltlichen Verflechtung sah das Gericht eine unentwirrbare Verbindung („inextricable“) der Gesellschaft B zur Gesellschaft A, sodass die Abberufung in A auch ein „juste motif“ für die Abberufung in B darstellen konnte.
3 Rechtlicher Rahmen: „Juste motif“ und Koexistenz von Organstellung und Arbeitsvertrag
- Abberufung eines Geschäftsführers („Gérant“) in der SARL
Nach Art. L 223-25 Abs. 1 des französischen Handelsgesetzbuchs (Code de commerce) kann einem Geschäftsführer einer SARL Schadensersatz zustehen, wenn er ohne „juste motif“, also ohne triftigen Grund abberufen wird (weitere Infos hier).
Ein „juste motif“ kann u. a. vorliegen bei:
- Vertrags- oder Pflichtverletzungen (Fehlverhalten),
- einer nicht schuldhaften, aber das Gesellschaftsinteresse gefährdenden Haltung,
- wesentlichen Änderungen der internen Organisation,
- oder dem Verlust einer Funktion in einer anderen Gesellschaft, wenn beide eng miteinander verflochten sind.
- Koexistenz der Organstellung und des Arbeitsvertrags
Zwar kennt man auch im französischen Recht den Grundsatz der Unvereinbarkeit der Organstellung mit einem Arbeitsverhältnis, da ein Arbeitsverhältnis ein Über-/Unterordnungsverhältnis erfordere, was bei Bestehen einer Organstellung nicht der Fall sein könne.
Nach ständiger Rechtsprechung der französischen Gerichte kann ein Geschäftsführer einer Gesellschaft aber gleichzeitig Arbeitnehmer eben dieser Gesellschaft sein, sofern er eine weisungsgebundene Tätigkeit in einem deutlich abgrenzbaren Aufgabenbereich ausübt und hierfür eine gesonderte Vergütung erhält.
Zwar sind Arbeitsvertrag und Organstellung insoweit unabhängig voneinander, als die Beendigung des einen nicht zwangsläufig zur Beendigung des anderen führt. Häufig jedoch rechtfertigen dieselben Pflichtverletzungen sowohl die Kündigung als Arbeitnehmer als auch die Abberufung als Geschäftsführer, da sich der Verstoß gegen das Vertrauen und das Unternehmensinteresse über beide Tätigkeitsbereiche erstreckt.
4 Praxisfolgen und Einordnung
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Verfestigung der Rechtsprechung: Das Pariser Berufungsgericht folgt mit dieser Entscheidung der Linie, dass gravierende Verfehlungen einer Person sowohl die Kündigung als Arbeitnehmer als auch die Abberufung als Geschäftsführer rechtfertigen können.
- Besonderheit im Konzern- bzw. Gruppenverbund: In der Vergangenheit hatte die Rechtsprechung eher vorsichtig argumentiert, dass die Abberufung in einer Gesellschaft nicht automatisch auf eine andere Gesellschaft übergreift. Entscheidend ist, ob zwischen beiden Gesellschaften eine enge wirtschaftliche und organisatorische Verbindung („relation inextricable“) besteht, die eine Weiterbeschäftigung bzw. -bestellung desselben Geschäftsführers in der anderen Gesellschaft unzumutbar macht.
- Praxistipp: Beim Einsatz eines gemeinsamen Geschäftsführers ist stets sorgfältig zu prüfen, ob die Gründe für eine Abberufung in einer Gesellschaft auch bei anderen, verbundenen Gesellschaften greifen. Eine überzeugende Begründung im Hinblick auf das „juste motif“ ist unabdingbar, um Schadensersatzansprüche zu vermeiden.
06.01.2025