Frankreich: Individuelle Haftung bei gemeinschaftlicher Geschäftsführung
Der französische Kassationsgerichtshof (Cour de cassation) hat sich am 25.01.2023 zu der Haftung des einzelnen Geschäftsführers bei gemeinsamer Geschäftsführung in einer französischen GmbH, sog. société à responsabilité limitée (SARL) geäußert.
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Bei mehreren Geschäftsführern kann auch nur einer in Anspruch genommen werden
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall verklagte eine Gesellschaft ihre ehemalige Geschäftsführerin gemäß Artikel L.223-22 des französischen Handelsgesetzbuchs (Code de commerce) auf Schadensersatz wegen eines Geschäftsführungsfehler (faute de gestion). Die Besonderheit des Falles lag darin, dass das Unternehmen zwei Geschäftsführer hatte, von denen nur einer einen Fehler begangen hatte und nur dieser Geschäftsführer wurde auch verklagt.
Das Berufungsgericht hatte die Klage noch abgewiesen und entschieden, dass die Gesellschaft sämtliche Geschäftsführer hätte verklagen müssen. Der französische Kassationsgerichtshof musste demnach die Frage beantworten, ob die Gesellschaft bei einer Mehrheit von Geschäftsführern die Haftung nur eines einzelnen Geschäftsführers geltend machen kann.
In einer französischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (société à responsabilité limitée – SARL) können eine oder mehrere natürliche Personen zum Geschäftsführer bestellt werden. Gesetzlich bestimmt ist zudem, dass bei einer Mehrheit von Geschäftsführern jeder seine eigene Geschäftsführungsbefugnis behält. Ergänzend hierzu sieht Art. L.223-22 des französischen Handelsgesetzbuchs vor, dass die Geschäftsführer in Frankreich entweder allein oder gemeinschaftlich gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber Dritten, für Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen, für Verstöße gegen die Satzung oder für Fehler in ihrer Geschäftsführung haften.
Haben mehrere Geschäftsführer bei einer Handlung mitgewirkt, so bestimmt das Gericht den Haftungsanteil jedes Einzelnen, um den Schaden zu ersetzen. Offen war bislang, wie das Gesetz auszulegen war, wenn nur einer von mehreren Geschäftsführern ein Fehler vorzuwerfen ist.
In der Tat könnte die die vom Gesetzgeber in der Norm verwendeten Adjektive „allein“ und „gemeinschaftlich“ dahin gehend verstanden werden, dass der Geschäftsführer nur dann allein haftet, wenn er Alleingeschäftsführer ist und bei Vorliegen mehrerer Geschäftsführer immer alle gemeinschaftlich haften.
Mit diesem Urteil stellt das französische Kassationsgericht fest, dass die individuelle Haftung eines Geschäftsführers auch dann geltend gemacht werden kann, wenn mehrere Geschäftsführer bestellt wurden.
Da eine gemeinsame Haftung mehrerer Geschäftsführer aber auch im Falle des Handelns eines einzigen nicht ausgeschlossen ist, möchten wir noch kurz auf die Regelungen zum französischen Widerspruchsrecht (droit d’opposition) der Geschäftsführer eingehen.
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Haftungsmilderung durch das Widerspruchsrecht bei der gemeinschaftlichen Geschäftsführung
Im Rahmen von Geschäftsführergremien, d. h. bei einer Vielzahl von Geschäftsführern, kann in manchen Gesellschaftsformen der Grundsatz der individuellen Geschäftsführerhaftung durch das sog. Widerspruchsrecht in Frankreich ausgeschlossen bzw. gemildert werden.
Bei den sogenannten société en nom collectif (SNC) und in den SARL, ist dieses Widerspruchsrecht jeweils gesetzlich für diese Gesellschaftsformen festgelegt: es steht jedem Geschäftsführer das Recht zu, Geschäftsführungsmaßnahmen eines anderen Geschäftsführers zu widersprechen.
In der SNC kann die Ausübung der Widerspruchsrechts (droit d’opposition), das jedem der Geschäftsführer zusteht, einen Haftungsminderungseffekt haben. Der Widerspruch eines Geschäftsführers gegen das Handeln eines anderen Geschäftsführers muss, um wirksam zu sein, dem Geschäftsführer und dem Vertragspartner vor Abschluss des betroffenen Rechtsgeschäfts mitgeteilt werden. Es werden in der Regel insbesondere die außergerichtliche Urkunde oder ein Einschreiben mit Rückschein als gültige Mitteilungsmittel anerkannt.
Der mögliche Widerspruch eines Geschäftsführers liegt im ausschließlich persönlichen Ermessensbereich des Betroffenen, ist aber umso wichtiger, da jeder Mitgeschäftsführer eine allgemeine Sorgfaltspflicht in Bezug auf die wesentlichen Punkte der Geschäftsführung, wie z. B. die Buchführung, hat. Die Nicht-Ausübung des Widerspruchsrechts kann einen Verstoß gegen die gegenseitige Aufsichtspflicht der Mitgeschäftsführer darstellen und somit aufgrund von Fahrlässigkeit den betroffenen Geschäftsführer haftpflichtig machen.
In der SARL stellt sich im Außenverhältnis die Frage der Rechtsfolge des Widerspruchsrechts nicht, da grundsätzlich nach außen nur die Gesellschaft haftet. Die Geschäftsführer haften nur bei Vorliegen eines schwerwiegenden und von den Managementtätigkeiten abtrennbaren Fehlers. Im Gegensatz dazu ist im Innenverhältnis relevant, ob ein Mitgeschäftsführer sein Widerspruchsrecht ausgeübt hat, da die Gesellschaft für den Schaden, den einer der Geschäftsführer verursacht hat, entschädigt werden muss. Somit wird derjenige, der sein Widerspruchsrecht ausgeübt hat, über ein Mittel verfügen, um seine Haftung zu mildern, sich zu entlasten oder zumindest seinen Anteil an dem den Dritten entstandenen Schaden zu begrenzen.
Praxistipp:
Der Widerspruch muss wirksam sein, um einen Haftungsmilderungsgrund darzustellen: (i) er muss auf wirksamer Art und Weise erfolgen und (ii) kann nur für zukünftige Rechtsgeschäfte oder Handlungen erklärt werden und wirkt nie zurück.
Dieser Artikel wurde von Anne-Katharina Albrand in Zusammenarbeit mit unserer Praktikantin Aurore Belocian verfasst.
28.03.2023