Frankreich sagt der „geplanten Obsoleszenz“ den Kampf an
Als geplante oder organisierte Obsoleszenz bezeichnet man eine vom Hersteller geplante, absichtliche Verringerung der Lebensdauer von Produkten. Gemeint ist eine Produktstrategie, bei welcher bewusst Schwachstellen in das betreffende Produkt eingebaut, Lösungen mit geringer Haltbarkeit und/oder Rohstoffe von geringerer Qualität eingesetzt werden, die dazu führen sollen, dass das Produkt früher unbenutzbar wird und deswegen ersetzt werden muss. Es ist unter Experten allerdings durchaus umstritten, ob in der Praxis seitens der Hersteller solche Strategien überhaupt verbreitet sind.
- Strafbarkeit der „geplanten Obsoleszenz“
Mit dem Gesetz zur Energiewende und für grünes Wachstum vom 17.08.2015 hat der französische Gesetzgeber einen Straftatbestand geschaffen, der die geplante Obsoleszenz unter Strafe stellt.
Der neu geschaffene Artikel L.213-4-1 des französischen Verbrauchergesetzbuchs definiert „geplante Obsoleszenz“ als „Gesamtheit aller Maßnahmen eines Inverkehrbringers, die darauf abzielen, die potentielle Lebensdauer eines Produkts absichtlich zu verkürzen, um dessen Austauschrate zu erhöhen“.
Die Tat kann mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren und einer Geldstrafe von bis zu 300.000 € geahndet werden. Gemäß Absatz 3 des vorstehend genannten Artikels kann die Geldstrafe alternativ bis zu 5 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes der letzten drei Jahre vor der Tatbegehung betragen, wobei die Höhe der Strafe den aus der Tat gezogenen Vorteilen angemessen sein soll.
Als Beispiele der geplanten Obsoleszenz werden in der Begründung zu dem Gesetzesentwurf der absichtliche Einbau eines Defekts, einer Schwachstelle, eines vorprogrammierten Ausfalls, einer technischen Beschränkung oder einer Inkompatibilität oder die Verhinderung einer Reparatur durch fehlende Zerlegbarkeit des Geräts oder eine fehlende Versorgung mit Ersatzteilen, die für den Betrieb des Geräts unabdingbar sind, genannt.
- Die Ausdehnung der Vermutung der Mangelhaftigkeit bei Lieferung auf die gesamte Gewährleistungsfrist
Gemäß Artikel L.211-12 des französischen Verbrauchergesetzbuchs verjähren die Gewährleistungsansprüche bei Verbrauchsgüterkäufen innerhalb von zwei Jahren ab Lieferung. Nach der aktuellen Fassung des Artikels L.211-7 des französischen Verbrauchergesetzbuchs besteht innerhalb der ersten sechs Monate ab Gefahrübergang (Lieferung) eine Vermutung dafür, dass die in diesem Zeitraum auftretenden Mängel bereits zum Zeitpunkt der Lieferung vorlagen. Diese Vorschriften sind seinerzeit in Umsetzung der europäischen Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (Nr. 99/44EG) erlassen worden.
Das französische Verbraucherschutzgesetz vom 17.03.2014 (genannt „Loi Hamon“) hat die gesetzliche Vermutung des Artikels L.211-7 nun von sechs auf 24 Monate erhöht. Somit gilt die Vermutung der Mangelhaftigkeit der Kaufsache bei Gefahrübergang für die gesamte Dauer der Gewährleistungsfrist. Ausgenommen sind gebrauchte Gegenstände, für welche die Vermutung weiterhin nur innerhalb der ersten sechs Monate gilt.
Die Gesetzesänderung wird am 18.3.2016 in Kraft treten.
- Die Verpflichtung zur Angabe der Verfügbarkeitsdauer von Ersatzteilen
Eine weitere bereits erlassene Maßnahme zur Bekämpfung der geplanten Obsoleszenz ist die Verpflichtung der Hersteller und Importeure von Waren, ihren Händlern für jedes Produkt mitzuteilen, bis zu welchem Datum Ersatzteile für diese Waren verfügbar sein werden. Gemäß Artikel L.111-3 Absatz 1 des französischen Verbrauchergesetzbuchs müssen die Händler den Verbrauchern diese Information vor Vertragsschluss zur Kenntnis bringen und sie bei Vertragsschluss in Textform bestätigen.
Die Verpflichtung gilt für Produkte, die seit dem 01.03.2015 in Frankreich neu auf den Markt gebracht worden sind.
Verstöße können mit einem Bußgeld von bis zu 15.000 € bestraft werden. Nähere Informationen finden Sie in unserem Artikel vom 19.03.2015 zu diesem Thema.
- Die Pflicht zur Lieferung von Ersatzteilen an Händler und Reparaturbetriebe
Gemäß Artikel L.111-3 Absatz 2 des französischen Verbrauchergesetzbuchs muss der Hersteller oder Importeur innerhalb der von ihm für die Ersatzteilversorgung angegebenen Frist jedem Einzelhändler und Reparaturbetrieb die für eine Reparatur seiner Produkte notwendigen Ersatzteile innerhalb von höchstens zwei Monaten liefern. Diese Pflicht besteht ausdrücklich auch gegenüber Unternehmen, die nicht Teil des Vertriebssystems des Herstellers sind („agréés ou non“). Auch diese Regelung gilt für alle Produkte, die seit dem 01.03.2015 in Frankreich auf den Markt gebracht worden sind.
- Information der Verbraucher über die Lebensdauer der Produkte
In dem ursprünglichen Gesetzesentwurf war noch vorgesehen, dass „zur Bekämpfung der programmierten Obsoleszenz“ die Hersteller für alle Waren ab einem bestimmten Mindestwert deren voraussichtliche Lebensdauer angeben müssen. Die letztlich verabschiedete Gesetzesfassung sieht eine solche Angabe jedoch nur noch im Rahmen von Versuchsprojekten und auf freiwilliger Basis vor (Art. L.541-1 I Nr. 2 Umweltgesetzbuch). Es ist zu vermuten, dass eine zwingende Angabe der Lebensdauer von Produkten erneut diskutiert werden wird, falls sich diese Versuche als wirksame Maßnahmen zur Verlängerung der durchschnittlichen Produktlebensdauer erweisen.
Kommentar: Eine Medizin mit Nebenwirkungen gegen eine eingebildete Krankheit?
Das französische Gesetz zur Energiewende und für grünes Wachstum vom 17.08.2015 nennt in dem neuen Artikel L.110-1-1 des französischen Umweltgesetzbuchs als Zielvorgabe unter anderem die Verlängerung des Produktlebenszyklus („cycle de vie“) als einen Schritt hin zu einer ökologisch verträglicheren Gesellschaft. Die Absicht des französischen Gesetzgebers, die Hersteller zur Konstruktion langlebigerer Produkte zu zwingen und so gewissen Fehlentwicklungen der modernen Wegwerfgesellschaft entgegenzuwirken, ist sicher löblich. Allerdings sind bei der Umsetzung bzw. Anwendung der inzwischen verabschiedeten Regelungen erhebliche Schwierigkeiten zu erwarten.
Betreffend die Regelung zur Verbesserung der Ersatzteilversorgung in Artikel L.111-3 des französischen Verbrauchergesetzbuchs ist z.B. unklar, wann ein Ersatzteil „für die Funktion des Produktes unerlässlich“ ist. Ist es diesbezüglich von Bedeutung, ob der Kunde das benötigte Ersatzteil ohne weiteres aus anderer Quelle beziehen kann (z.B. eine Standardschraube, ein Kabel oder ein elektronisches Standardbauteil)? Ist die äußere Verkleidung eines Gerätes für dessen Funktion unerlässlich? Hier werden die französischen Gerichte Kriterien entwickeln müssen, um den äußerst weit gefassten Gesetzeswortlaut einzugrenzen. Bis es soweit ist, müssen die Unternehmen mit der vom Gesetzgeber geschaffenen Unsicherheit leben.
Bei der Anwendung des neuen Straftatbestandes in Artikel L.213-4-1 des Verbrauchergesetzbuchs ist mit noch größeren Schwierigkeiten zu rechnen: Da die Strafbarkeit der geplanten Obsoleszenz einen qualifizierten Vorsatz voraussetzt, wird sich fast immer die Frage stellen, ob der Hersteller eines minderwertigen Produkts bewusst Maßnahmen ergriffen hat, die eine Verkürzung der Lebensdauer dieses Produkts und eine Erhöhung der Austauschfrequenz durch die Kunden bezweckten, oder ob es sich schlicht um das Ergebnis von Sparmaßnahmen oder mangelnden technischen Könnens der Ingenieure handelt. Eine vorsätzliche Verkürzung der Produktlebensdauer wird den Herstellern wohl nur selten nachzuweisen sein.
Abgrenzungsschwierigkeiten gibt es auch zwischen einer „lebensverkürzenden Maßnahme“ und dem „normalen“ Verschleiß, insbesondere bei Produkten aus dem niedrigpreisigen Segment. Viele günstige Produkte haben schon deshalb eine geringere Haltbarkeitsdauer, weil aus Kostengründen häufig Materialien von geringerer Qualität verwendet werden. Die Hersteller solcher Waren werden sich in Zukunft also fragen müssen, wie haltbar sie ihre Produkte machen müssen, um dem Vorwurf zu entgehen, deren Lebensdauer absichtlich zu verkürzen.
Hinzu kommt, dass der Straftatbestand ausdrücklich auf den „Inverkehrbringer“ („metteur sur le marché“) abzielt, also denjenigen, der das Produkt auf den Markt bringt. Bei importierten Produkten – insbesondere solchen aus Fernost – wird dies aber in der Regel ein in der EU ansässiger Händler sein, der nicht an der Gestaltung der Ware beteiligt war und daher in der Regel auch keine Maßnahmen zur Verkürzung der Produktlebensdauer ergriffen hat. Für importierte Waren wird der neue Straftatbestand in Artikel L.213-4-1 des französischen Verbrauchergesetzbuchs praktisch kaum relevant werden. Es besteht somit die Gefahr, dass die Vorschrift zu einer Benachteiligung der heimischen Industrie gegenüber ausländischen Herstellern führt.
Heikel erscheint auch die Frage nach der Reparaturfähigkeit der Produkte. So sind von dem Tatbestand wohl auch Techniken erfasst, die die Reparatur des Produkts erschweren. In bestimmten Fällen hat der Einsatz solcher Techniken jedoch nachvollziehbare Gründe und die Erschwerung der Reparaturfähigkeit ist lediglich ein Nebeneffekt. Ein Beispiel ist die Verwendung von Klebeverbindungen in Mobiltelefonen und Tablets, welche die Reparatur erheblich erschweren. Eine Strafbarkeit des Einsatzes solcher Techniken muss meines Erachtens jedoch dann ausscheiden, wenn der Hersteller darlegen kann, dass die reparaturerschwerende Technik aus nachvollziehbaren technischen Gründen eingesetzt worden ist, etwa um die Stabilität des Gerätes zu erhöhen. Auch dieser Umstand wird es den Gerichten schwer machen, den neuen Straftatbestand überhaupt jemals zur Anwendung zu bringen.
Schließlich wirft auch die Erwähnung der Inkompatibilität des Produktes in der Begründung des Gesetzesentwurfs Fragen auf. Diese Problematik ist beispielsweise im Bereich der Informationstechnologie relevant. Die Inkompatibilität eines Gerätes kann hier etwa durch die fehlende Weiterentwicklung von Gerätetreibern entstehen. Gerade im Bereich der PCPeripheriegeräte ist es häufig der Fall, dass die Firmware oder die zu dem Gerät gehörende Software nicht an später erscheinende Betriebssysteme angepasst werden. Hier stellt sich die Frage, ob das neue französische Gesetz die Hersteller dazu zwingt, die Kompatibilität ihrer Produkte über einen längeren Zeitraum und auch mit Drittsystemen sicherzustellen. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass das Gesetz die Hersteller von Produkten mit „proprietären“ Schnittstellen dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass über einen längeren Zeitraum kompatibles Zubehör erhältlich ist, sei es durch eigene Fertigung oder durch die Vergabe erforderlicher Lizenzen an Dritte.
Problematisch erscheint schließlich auch die Vereinbarkeit der Strafbarkeit der geplanten Obsoleszenz mit der europäischen Warenverkehrsfreiheit. In der EU sind nach Art. 34 AEUV Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen verboten. Solche Maßnahmen sind alle staatlichen Maßnahmen, die geeignet sind, unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern. Dies dürfte bei dem Verbot der geplanten Obsoleszenz der Fall sein, da es sich hierbei um eine produktbezogene Regelung handelt, die dazu führen kann, dass der Vertrieb bestimmter Produkte, deren Herstellung oder Verkauf in anderen EU-Staaten legal ist, in Frankreich strafbar ist. Gemäß der Rechtsprechung des EuGH kommt es für die Rechtmäßigkeit einer solchen Regelung darauf an, ob die durch sie bewirkte Einschränkung des freien Warenverkehrs notwendig ist, um zwingenden Erfordernissen, z. B. des Verbraucherschutzes, gerecht zu werden. Ob die Strafbarkeit der geplanten Obsoleszenz in Artikel L.213-4-1 des französischen Verbrauchergesetzbuchs diese Voraussetzung erfüllt, darf bezweifelt werden, zumal bereits andere Regelungen existieren, die den Schutz der Verbraucher vor Irreführung gewährleisten.
Angesichts der vielen offenen Fragen und Probleme bei der Anwendung der erläuterten Maßnahmen des französischen Gesetzgebers zur Bekämpfung der geplanten Obsoleszenz drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei diesen Maßnahmen vor allem um Symbolpolitik handelt. Für die Hersteller bedeuten die neuen Regeln vor allem eine erhebliche Unsicherheit, zumindest bis die Gerichte geeignete Abgrenzungskriterien und Fallgruppen entwickelt haben.
05.10.2015