Geschäftsführer haftet bei verspäteter Insolvenzanmeldung in Frankreich
Nach Artikel L631-4 und L640-4 des französischen Handelsgesetzbuchs hat der Schuldner ein Insolvenzverfahren innerhalb einer Frist von 45 Tage nach Einstellung der Zahlungsunfähigkeit (cessation des paiements) zu beantragen. Der französische Kassationshof legt nunmehr fest, ab wann die Frist zu laufen beginnt.
Wenn der Insolvenzverwalter feststellt, dass der Geschäftsführer die Frist zur Anmeldung einer Insolvenz nicht eingehalten wurde, kann er diesen berufsrechtlich (zur Verhängung eines Berufsverbots) und/oder zivilrechtlich verklagen.
Das Oberste französische Gericht, die Cour de Cassation, hatte schon häufiger bejaht, dass eine verspätete Insolvenzanmeldung einen Geschäftsführungsfehler darstellen könne, der die private und finanielle Haftung des Geschäftsführers auf Liquidationsfehlbeträge auslösen kann (Com. 30.11.1993, Az. Nr. 91-20554, vgl. auch unsere Ausführungen zu den Haftungsrisiken im Frankreichgeschäft)
Neben dieser finanziellen Haftung des Geschäftsführers könnten auch berufsrechtliche Sanktionen drohen, namentlich ein Verbot, Geschäftsführerfunktionen zu bekleiden. Hier erfordert das französische Insolvenzrecht indes seit dem Gesetz Nr. 2015-990 vom 6. August 2015, dem sogenannten "Loi Macron", ein vorsätzliches Handeln des Geschäftsführers (C. com., Art. L. 653-8).
In dem vom französischen Kassationshof jüngst entschiedenen Fall, wurde ein Unternehmen zunächst in ein gerichtliches Sanierungsverfahren und dann in eine Liquidation überführt, wobei das Datum der Zahlungseinstellung von den Richtern zunächst auf den 1. Januar 2016 festgelegt und später auf den 6. Oktober 2014 vorverlegt wurde.
Der Insolvenzverwalter verklagte daraufhin den Geschäftsführer auf ein Verbot der Geschäftsführung, wobei die Richter dieses Verbot für eine Dauer von sieben Jahren verhängten. Das Berufungsgericht stellte fest, dass der Geschäftsführer sich dieses Zustands bereits im ersten Halbjahr 2015 bewusst war und die Eröffnung nicht innerhalb von 45 Tagen ab diesem Zeitpunkt beantragt hatte.
Der Geschäftsführer legte gegen dieses Urteil Revision ein und argumentierte, dass das Berufungsgericht gegen Artikel L. 653-8 des Handelsgesetzbuchs verstoßen habe, da ihm der Zustand der Zahlungseinstellung innerhalb von 45 Tagen nach dem 6. Oktober 2014, dem Datum vom Gericht vorverlegten Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit, nicht bewusst gewesen sei. Er war sich dessen erst viel später bewusst. Nach Auffassung des Geschäftsführers sei der Zeitpunkt der gerichtlichen Feststellung der Zahlungseinstellung maßgeblich.
Der Kassationshof verwarf die Revision. Der Geschäftsführer habe faktisch ab dem ersten Halbjahr 2015 den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherungsbeiträge und die Mehrwertsteuer nicht mehr zahlen können; mehr als vier Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zahlte er die Gehälter nicht mehr. Da er mehr als ein Jahr zugewartet hatte, um die Eröffnung des Verfahrens zu beantragen, habe er es wissentlich versäumt, die Zahlungseinstellung innerhalb der in Artikel L. 653-8 vorgesehenen Frist von 45 Tagen zu erklären.
Der französische Kassationshof hat in diesem Beschluss den Zeitpunkt präzisiert, zu dem beurteilt werden muss, ob der Geschäftsführer wissentlich oder unwissentlich keine Erklärung über die Zahlungseinstellung abgegeben hat: Ab dem Zeitpunkt, an dem er sich dessen bewusst war, dass er seine Verbindlichkeiten nicht würde erfüllen können, muss er – unabhängig vom gerichtlich festgelegten Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit - innerhalb von 45 Tagen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen.
Tipp:
Da die Beurteilung der Frage der Insolvenzantragspflicht (faktisch: der Zahlungsunfähigkeit) in Frankreich im Einzelfall kompliziert und in jedem Fall haftungsträchtig sein kann, sollten Sie sich bei Zweifeln kompetenten Rat suchen.
Cass. com., 12. Jan. 2022, Nr. 20-21.427.
04.03.2022