Frankreich: Bankrott durch Nichtabführen von Sozialabgaben und Steuern
Der französische Kassationsgerichtshof (Chambre criminelle, Cass. crim.) hatte zu entscheiden, ob ein strafbarer Bankrott (banqueroute) durch betrügerische Erhöhung der Passivseite auch dann vorliegt, wenn ein Geschäftsführer vorsätzlich Sozialabgaben und Steuern nicht zahlt. Im Zentrum stand die Frage, ob nicht nur aktive Handlungen, sondern auch das bewusste Unterlassen dieser Zahlungen eine strafbare Handlung nach sich ziehen kann.
1 Hintergrund des Falls
Im entschiedenen Fall wurde ein Geschäftsführer strafrechtlich verfolgt, weil er als Verantwortlicher einer insolvent gewordenen Gesellschaft über einen längeren Zeitraum Sozialabgaben und Steuerverbindlichkeiten nicht beglich. Auffällig war zusätzlich, dass private Ausgaben über das Firmenkonto abgewickelt wurden. Währenddessen focht er zahlreiche Steuerbescheide gerichtlich an, dennoch blieb die Zahlung der Schulden aus.
Die Kernproblematik drehte sich um den Bankrott durch betrügerische Erhöhung der Passivseite (augmentation frauduleuse du passif) nach Art. L. 654-2, 3° des französischen Handelsgesetzbuchs (Code de commerce). Diese Vorschrift stellt jede Vorgehensweise unter Strafe, bei der der Unternehmensleiter die Verbindlichkeiten seiner Gesellschaft betrügerisch so erhöht, dass dies zulasten der Gläubiger geht.
2 Wesentliche rechtliche Überlegungen
Das Gericht stellte klar heraus, dass die betrügerische Passivseitenerhöhung in verschiedenster Form vorliegen kann, nicht nur in der klassischen Variante durch fiktive Schulden. Auch das vorsätzliche Unterlassen von Pflichtzahlungen im Vorfeld oder während einer Insolvenz ist ausreichend, sofern damit eine Schädigung der Gläubiger beabsichtigt oder jedenfalls erreicht wird.
Für den Tatbestand ist nicht maßgeblich, ob komplexe Betrugshandlungen (manœuvres frauduleuses) wie im Fall des Betrugs (§ 313-1 französisches Strafgesetzbuch) vorlagen. Entscheidend ist nach der aktuellen Linie der Rechtsprechung, ob der Geschäftsführer durch sein Handeln oder Unterlassen die Passivseite bewusst vergrößert und so die Gläubiger benachteiligt.
Das Urteil bekräftigt, dass sowohl aktive Handlungen (wie das Hinzufügen nicht bestehender Verbindlichkeiten oder unzulässige Gehaltszahlungen) als auch vorsätzliche Unterlassungen (wie die Nichtzahlung von Sozialabgaben und Steuern) strafbar sein können, wenn eine klare Absicht zur Schädigung der Gläubiger nachweisbar ist.
3 Entscheidung und Begründung
Der Kassationsgerichtshof (Cass. crim., 14. Mai 2025, n° 24-81.166, F-D, n° 612) bestätigte die strafrechtliche Verurteilung des Geschäftsführers wegen Bankrotts durch betrügerische Passivseitenerhöhung.
Er habe in eindeutig vorsätzlicher Weise die Schuldenlast der Gesellschaft gesteigert, indem er über Jahre hinweg Sozial- und Steuerabgaben nicht beglich und dabei Unternehmensmittel für private Ausgaben verwendete.
Maßgeblich für die strafrechtliche Verantwortlichkeit war, dass der Geschäftsführer nicht lediglich nachlässig handelte. Vielmehr ignorierte er die immer weiter anwachsenden Schulden und unterließ es wiederholt und gezielt, diese zu begleichen. Die Vielzahl juristischer Anfechtungen der Steuerbescheide wurde vom Gericht nicht als ernsthaftes Bemühen um Rechtswahrung anerkannt, sondern als Werkzeug zur bewussten Hinauszögerung der Zahlungen und damit zum Nachteil der Gläubiger.
!! Zur Begründung verwies das Gericht auf die fortschrittliche, praxisnahe Rechtsprechung: Entscheidend bleibt das Ziel bzw. die Folge, dass die Gläubiger durch eine absichtliche Passivseitenerhöhung benachteiligt werden – unabhängig von der verwendeten Methode.
Cass. crim., 14. Mai 2025, n° 24-81.166, F-D, n° 612 : JurisData n° 2025-006950
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10.07.2025