Insolvenzverfahren in der EU: Unterbrechung laufender Gerichtsverfahren in Frankreich
Der französische Kassationshof (Cour de cassation) hatte kürzlich darüber zu entscheiden, wie sich die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in einem anderen EU-Staat auf in Frankreich anhängige Gerichtsverfahren auswirkt.
Im konkreten Fall ging es um einen portugiesischen Vertriebspartner einer bekannten Kosmetikmarke, der in Frankreich zu Zahlungen wegen offener Rechnungen verurteilt worden war. Nach Einlegung der Berufung in Frankreich wurde in Portugal ein Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet, und der portugiesische Insolvenzverwalter nahm am Verfahren teil.
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Kontext und beteiligte Parteien
Hintergrund des Falles ist ein typischer internationaler Wirtschaftsstreit: Ein portugiesischer Händler wird in Frankreich verurteilt, während in Portugal ein Insolvenzverfahren eingeleitet wird. Die zentrale Frage: Welche rechtlichen Wirkungen entfaltet das portugiesische Insolvenzverfahren auf das noch laufende französische Berufungsverfahren?
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Rechtliche Überlegungen
Das Gericht musste die Regelungen der europäischen Insolvenzverordnung (Art. 18 VO [EU] 2015/848) und die einschlägigen Vorschriften des französischen Handelsrechts (Art. L. 622-21 und L. 622-22 Code de commerce) anwenden. Nach europäischem Recht gilt: Die Wirkung einer Insolvenz auf laufende Gerichtsverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat richtet sich nach dem dortigen (prozessführenden) Recht – in diesem Fall dem französischen.
In Frankreich bedeuten diese Vorschriften, dass das laufende Gerichtverfahren grundsätzlich unterbrochen werden muss, wenn über eine Partei im Ausland ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Die Fortsetzung des Verfahrens ist erst nach Anmeldung der Forderung des Gläubigers im ausländischen Insolvenzverfahren und nach Erfüllung weiterer Formalitäten möglich. Das wiederaufgenommene Verfahren darf dann nur noch den Zweck haben, die Höhe der Forderung festzustellen, eine Verurteilung zur Zahlung ist ausgeschlossen.
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Entscheidung und Begründung
Der Cour de cassation hat die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben. Er stellte klar: Das französische Berufungsverfahren hätte mit Beginn des portugiesischen Insolvenzverfahrens unterbrochen werden müssen. Nur unter Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen – insbesondere der Anmeldung der Forderung im portugiesischen Insolvenzverfahren – hätte das Verfahren zur Feststellung der Forderung fortgeführt werden dürfen. Eine weitergehende Verurteilung zur Zahlung wäre rechtswidrig, da die kollektive Abwicklung der Insolvenz dem Einzelgläubigerzugriff vorgeht.
Die Begründung betont das Ziel der Insolvenzordnung: Individuelle Klagen gegen einen insolventen Schuldner sollen verhindert und stattdessen ein kollektives Verfahren eröffnet werden, das alle Gläubiger gleichstellt. Das sorgt für eine geordnete Abwicklung und schützt das insolvente Unternehmen sowie die Gesamtheit der Gläubiger.
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13.06.2025