Persönliche Insolvenz und Haftung für Fehlbeträge in Frankreich
Der französische Kassationshof hatte zu klären, ob die persönliche Insolvenz (faillite personnelle) eines Geschäftsführers zwingend an das Vorliegen eines Fehlbetrags (insuffisance d’actif) im Unternehmen gekoppelt ist.
Im Mittelpunkt stand dabei ein typischer Fall aus dem französischen Unternehmensinsolvenzrecht: Nach der Einstellung des Geschäftsbetriebs und der anschließenden Liquidation eines Unternehmens verlangte der Insolvenzverwalter vom Geschäftsführer sowohl die persönliche Haftung wegen eines Fehlbetrags als auch die Verhängung der persönlichen Insolvenz.
Die Entscheidung hebt die Unterschiede zwischen einer persönlichen Sanktion und einer Haftung hervor – ein seit Jahren diskutiertes Thema im französischen Recht.
Mehr zur Haftung in der Insolvenz in Frankreich
-
Hintergrund: Haftung für Fehlbetrag und persönliche Insolvenz (faillite personnelle)
Im Ausgangsfall wies die Cour d’appel de Saint-Denis beide Klagen des Insolvenzverwalters ab und zwar mit der identischen Begründung: Der Insolvenzverwalter konnte keinen Fehlbetrag (insuffisance d’actif) nachweisen. Daraus folgte die Annahme, dass ohne festgestellten Fehlbetrag sowohl die zivilrechtliche Haftung als auch die Verhängung der persönlichen Insolvenz ausscheide.
Vor dem höchsten Zivilgericht, der Cour de cassation, rügte der Insolvenzverwalter dies. Er argumentierte, dass sich die Parteien nicht über das Bestehen eines Fehlbetrags stritten, sondern lediglich über das Vorliegen von Managementfehlern und deren kausalem Zusammenhang mit dem Fehlbetrag. Zudem sei das Vorhandensein eines Fehlbetrags keine gesetzliche Voraussetzung für die Anordnung der persönlichen Insolvenz eines Geschäftsführers.
-
Rechtliche Überlegungen und zentrale Argumente
Das Gericht knüpfte an eine Unterscheidung an, die im französischen Insolvenzrecht zentral ist: Die persönliche Insolvenz ist eine Sanktionsmaßnahme und keine Frage der (zivilen) Haftung.
Während die Haftung bei Fehlbeträgen für den Schaden der Gläubiger eintritt und ein konkretes Verschulden mit kausalem Schaden voraussetzt, dient die persönliche Insolvenz dazu, Geschäftsführer bei schweren Verfehlungen im Leitungsbereich vorübergehend von jeder geschäftsführenden oder überwachenden Tätigkeit auszuschließen. Diese Maßnahme verfolgt in erster Linie das Ziel, das wirtschaftliche Umfeld zu schützen und wiederholte Missstände zu verhindern.
Das Gericht hob hervor, dass die gesetzlich geregelten Tatbestände der persönlichen Insolvenz (insbesondere Art. L.653-4 und L.653-5 Code de commerce) keinen gesonderten Nachweis eines Fehlbetrags verlangen, sondern darauf abzielen, bestimmte unzulässige Handlungen oder Unterlassungen zu sanktionieren. Dennoch führt, wie die Richter in der zweiten Instanz angenommen hatten, die örtliche Nähe von Vorschriften zur persönlichen Insolvenz und zur Haftung für Fehlbeträge im Gesetz für manche Beobachter zu einer Verwechslung der Voraussetzungen beider Maßnahmen.
-
Entscheidung und Begründung des Gerichts
Die Cour de cassation hat das Urteil der Vorinstanz daher aufgehoben. Sie begründete dies mit einer klaren Trennung zwischen Haftung wegen Fehlbetrags und der Sanktion der persönlichen Insolvenz.
Entscheidend sei, dass die Richter der zweiten Instanz dem Gesetz eine Bedingung hinzugefügt hätten, die dieses nicht vorsieht. Weder aus Art. L.653-4 noch aus Art. L.653-5 des Code de commerce ergibt sich die Verpflichtung, einen Fehlbetrag nachzuweisen, um die persönliche Insolvenz gegen einen Geschäftsführer auszusprechen. Vielmehr genügt ein Fehlverhalten aus dem Katalog der einschlägigen Vorschriften.
Das Gericht betonte, dass die persönliche Insolvenz eine präventive und punitive Maßnahme ist, die das gesellschaftliche Wirtschaftsleben sichern soll, unabhängig davon, ob tatsächlich ein finanzieller Schaden eingetreten ist. Die Anforderungen an das gesetzlich normierte Strafmaß dürfen dabei nicht durch die Rechtsprechung verschärft werden. Andernfalls würde das Prinzip der Gesetzmäßigkeit von Strafen verletzt.
-
Näheres zur Entscheidung
Das Urteil klärt grundlegend, dass die Verantwortlichkeit wegen Fehlbetrags und die persönliche Insolvenz zwei getrennte Instrumente des Insolvenzrechts sind, auch wenn sie nebeneinander im Gesetz geregelt sind und ähnliche Zielrichtungen verfolgen. Die persönliche Insolvenz greift dann, wenn Fehlverhalten des Geschäftsführers feststeht, unabhängig vom finanziellen Ergebnis für das Unternehmen oder dessen Gläubiger.
Cour de cassation, chambre commerciale, 12. Juni 2025, n°24-13.566
Qivive ist eine der führenden Kanzleien bei der Begleitung von Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum im französischen Wirtschaftsrecht. Wir sind mehrfach ausgezeichnet und verfügen über eine langjährige Expertise im französischen Insolvenzrecht und Unternehmenssanierungsrecht. Unsere fast 30 Anwältinnen und Anwälte sind perfekt dreisprachig (deutsch, französisch und englisch) und im deutschen und französischen Recht ausgebildet. Die Kanzlei wird regelmäßig von Unternehmensjuristen weiterempfohlen und in anerkannten Medien in Deutschland und Frankreich ausgezeichnet.
30.06.2025