Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder beim Erbrecht: Frankreich erneut durch den Europäischen Gerichtshof verurteilt
Bis zum Jahre 2001 wurden nichteheliche Kinder in Frankreich bei der Aufteilung des Nachlasses der Eltern benachteiligt. So sah das französische Gesetz vom 3. Januar 1972 vor, dass nichtehelichen Kindern nur die Hälfte des Erbteils eines ehelichen Kinds zustand.
Nachdem der französische Staat im Jahr 2000 durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Diskriminierung verurteilt worden war (Entscheidung vom 1. Februar 2000, Mazurek ./. Frankreich Nr. 34406/97), verabschiedete der französische Gesetzgeber am 3. Dezember 2001 das Gesetz Nr. 2001-1135, das nichteheliche Kinder zu gleichberechtigen Erben machte (Art. 310 und 733 Abs. 1 des Code civil). Die dadurch entstandenen Erbansprüche nichtehelicher Kinder des Verstorbenen konnten im Rahmen der Nachlassabwicklung geltend gemacht werden, und zwar auch dann, wenn der Verstorbene vor Inkrafttreten besagten Gesetzes verstorben war, jedoch nur unter dem Vorbehalt, dass der Nachlass nicht bereits endgültig abgewickelt war.
Diese Übergangsregelung sollte dem Schutz der Rechtssicherheit dienen, damit Aufteilungen des Nachlassvermögens zwischen den Erben, welche vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erfolgt waren, nicht rückwirkend in Frage gestellt werden konnten. Wie die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 7. Februar 2013 zeigt, ist diese Regelung jedoch nicht ganz unproblematisch (Entscheidung vom 7. Februar 2013 Fabris ./.Frankreich Nr. 16574/08). In dieser besagten Angelegenheit wurde der Antragsteller im Jahre 1943 als nichteheliches Kind geboren. Seine Geschwister, die als eheliche Kinder in der Ehe seiner Mutter geboren waren, erhielten im Jahr 1970 eine Schenkung. Nachdem die Mutter 1994 verstorben war, verlangte der Antragsteller von seinen Geschwistern die Auszahlung seines Pflichtteils. Für die französischen Gerichte war die Angelegenheit jedoch eindeutig: Die Erbschaft war 6 Jahre vor Inkrafttreten des Gesetzes von 2001 abgewickelt worden. Damit waren die Voraussetzungen für eine rückwirkende Anwendung dieses Gesetzes nicht erfüllt und dem Antragsteller wurde gegenüber seinen Geschwistern kein Anspruch auf Auszahlung seines Pflichtteils eingeräumt.
Der Antragssteller berief sich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit Erfolg auf den Art. 14 der europäischen Menschenrechtskonvention (Diskriminierungsverbot) i.V.m. Art. 1 des Protokolls Nr. 1 (Schutz des Eigentums). Zwar ist der Gerichtshof der Ansicht, dass eine Ungleichbehandlung grundsätzlich durch den legitimen Anspruch des Staates, die Rechtssicherheit der ehelichen Geschwister zu schützen, begründet werden kann. Die Ungleichbehandlung, muss jedoch zu dem durch das Gesetz verfolgten Zweck in einem angemessen Verhältnis stehen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kam zu dem Schluss, dass dies hier nicht der Fall war, insbesondere da
- die Geschwister Kenntnis von der Existenz ihres Halbbruders hatten und
- die Geschwister wussten oder zumindest damit rechnen mussten, dass die Aufteilung der Erbschaft sowohl aufgrund von Gesetzesänderungen als auch aufgrund des durch den Bruder eingeleiteten Gerichtsverfahrens in Frage gestellt werden konnte.
Tipp: Nichteheliche Kinder sind in Frankreich erst dann erbberechtigt, wenn sie ihre Abstammung von dem Verstorbenen nachweisen können. Wenn der Vater die Vaterschaft nicht offiziell anerkannt hat, kann diese im Rahmen einer Vaterschaftsklage festgestellt werden. Diese muss vor dem 28. Geburtstag des Klägers eingereicht werden.
25.02.2013