Haftung faktischer Geschäftsführer in Frankreich – Zuständigkeit von Handelsgerichten
Nach französischem Recht kann sowohl der rechtliche Geschäftsführer (sog. dirigeant de droit) als auch der faktische Geschäftsführer (sog. dirigeant de fait) zivilrechtlich und strafrechtlich haften (mehr hierzu in unserer Publikation zur Haftung des Geschäftsführers in Frankreich).
In einer Entscheidung vom 30. März 2022 hat das höchste Gericht in Frankreich, die Cour de Cassation, entschieden, dass für derartige Haftungsklagen ausschließlich die Handelsgerichte und nicht die Arbeits- oder Zivilgerichte zuständig sind (Com. 30 mars 2022, F-B, n° 20-11.776). Genauer hat der Kassationshof entschieden, dass das Handelsgericht bei der Beurteilung seiner Zuständigkeit nicht vorab prüfen müsse, ob tatsächlich eine faktische Geschäftsführung vorliegt – die Zuständigkeit ergebe sich vielmehr unmittelbar aus dem Umstand, dass Ansprüche aus einer faktischen Geschäftsführung geltend gemacht werden. Ob eine faktische Geschäftsführung tatsächlich vorliege, sei lediglich im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der Klage relevant.
Die der Entscheidung zugrunde liegenden Fakten können wie folgt zusammengefasst werden:
Eine Holdinggesellschaft hält alle Anteile an zwei Tochtergesellschaften: einer SARL und einer SAS. Jede dieser beiden Gesellschaften wird von derselben Person geleitet, die entweder als Geschäftsführer oder als Vorstand fungiert. Dieselbe Person ist außerdem Gesellschafter in der Holdinggesellschaft, mit der sie zudem durch einen Arbeitsvertrag verbunden ist.
Diese Person wurde aus verschiedenen Gründen wegen unlauteren Wettbewerbs zum Nachteil der Holding und zugunsten einer dritten Gesellschaft, deren Gesellschafter er zusammen mit seiner Ehefrau war, die ebenfalls Arbeitnehmerin der Holding war, von seinen beiden Organstellungen abberufen. Einige Tage später kündigte das Unternehmen den Eheleuten wegen schweren Fehlverhaltens.
Die Holdinggesellschaft hatte daraufhin Haftungsklage beim Handelsgericht gegen das Drittunternehmen und ihre beiden ehemaligen Angestellten wegen verschiedener Unterschlagungen, die die Eheleute begangen hatten, eingereicht. Die beiden ehemaligen Arbeitnehmer rügten die Zuständigkeit des Handelsgericht zugunsten der Arbeitsgerichtsbarkeit. Die Rüge wurde vom Handelsgericht zurückgewiesen. Nachdem die Berufung ebenfalls zurückgewiesen wurde, legten Sie Revision beim Kassationshof ein.
Interessant an der Entscheidung des Kassationshofs ist insbesondere die Zuständigkeitsfrage im Rahmen der Revision der Ehefrau. Nach ihrer Argumentation hätte das Berufungsgericht die Zuständigkeit des Handelsgerichts nicht allein mit dem Umstand bejahen dürfen, dass die Tochtergesellschaften der Holdinggesellschaft ihr vorwarfen, sich wie ein faktischer Geschäftsführer verhalten zu haben. Um die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts auszuschließen und die des Handelsgerichts anzuerkennen, hätten die Berufungsrichter vielmehr untersuchen müssen, ob sie sich tatsächlich wie ein faktischer Geschäftsführer verhalten hatte oder, im Gegenteil, ob sie im Rahmen ihrer angestellten Funktionen gehandelt hatte.
Das Kassationsgericht wies die Revision zurück.
Zunächst erinnerte das Gericht an den Grundsatz, dass die Handelsgerichte in Frankreich für Haftungsklagen zuständig sind, die von Handelsgesellschaften gegen ihre faktischen Geschäftsführer erhoben werden. Die Frage, ob die Person, gegen die sich die Klage richtet, tatsächlich die Voraussetzungen für die Einstufung einer faktischen Geschäftsführung erfüllt, sei aber dabei eine Frage der Begründetheit der Klage und nicht der Zuständigkeit des Gerichts ist, das mit der Entscheidung über die Klage befasst ist. Damit folgten die Richter der Begründung der Berufungsrichter.
20.04.2022