Informationspflichten des Verkäufers bei Unternehmenskauf in Frankreich
Das höchste französische Zivilgericht, die Cour de cassation, hatte am 14. Mai 2025 erstmals die Frage zu entscheiden, wann im Rahmen einer Anteilsübertragung (sog. cession de parts sociales) eine vorvertragliche Informationspflicht über einschränkende Umstände (hier: Nutzungsbeschränkungen des Betriebsobjekts) besteht und wie die „entscheidende Bedeutung“ einer Information rechtlich zu bewerten ist.
Das Urteil könnte insgesamt Einfluss haben auf die Verhandlungs- und Prüfungsphase von Unternehmenskäufen in Frankreich.
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Hintergrund des Falles
Im Zentrum des Rechtsstreits standen M. M. als Verkäufer und M. T. als Käufer sämtlicher Anteile einer Gesellschaft mit dem Unternehmensgegenstand „schnelle Gastronomie“ in gemieteten Geschäftsräumen.
Nach dem Erwerb stellte sich jedoch heraus, dass Regeln aus der Gemeinschaftsordnung sowie Widerstand anderer Miteigentümer eine Installation von Abzugssystemen verhinderten. Dadurch konnte im Lokal keine Frittierung stattfinden, eine Einschränkung, von der M. T. angab, sie sei ihm bei den Vertragsverhandlungen absichtlich verschwiegen worden. Er forderte Schadensersatz wegen Verletzung der vorvertraglichen Informationspflicht (sog. obligation d’information précontractuelle).
Die Vorinstanz, das Berufungsgericht Reims (CA Reims, 2 mai 2023, n° 22/00857), wies die Klage ab, da weder eine Tatsachenverheimlichung noch die „entscheidende Bedeutung“ der streitigen Information für den Vertrag nachgewiesen war.
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Rechtliche Überlegungen
Zentral war die Auslegung des Artikels 1112-1 des französischen Code civil, der für alle seit 2016 abgeschlossenen Verträge verlangt, dass eine Partei Informationen mit „entscheidender Bedeutung“ für den Vertragspartner unaufgefordert weitergeben muss, sofern dieser sie nicht kennt oder sich auf das Wissen des anderen verlassen darf (vorvertragliche Informationspflicht, obligation d’information précontractuelle).
Von besonderer Bedeutung ist die Frage, wie die „entscheidende Bedeutung“ einer Information zu bestimmen ist und ob jeder Umstand mit direkter Auswirkung auf den Vertragsinhalt oder die Parteien automatisch dem Vertragspartner mitzuteilen ist.
Der Gesetzestext verlangt zweierlei:
1 Einen unmittelbaren und notwendigen Bezug der Information zum Vertragsinhalt oder zur Qualität der Parteien (lien direct et nécessaire)
2 und deren wesentliche („entscheidende“) Bedeutung für das Einverständnis des Vertragspartners (importance déterminante pour le consentement).
Der Kläger beriefe sich darauf, dass jede Information mit einem direkten und notwendigen Zusammenhang zum Vertragsgegenstand zwingend mitzuteilen sei. Das Gericht räumte mit dieser Sichtweise auf und stellte klar, dass nicht der bloße Zusammenhang relevant ist, sondern zusätzlich deren Erheblichkeit für den Abschluss des Vertrags entscheidend sein muss.
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Entscheidung und Begründung
Die Cour de cassation wies die Revision zurück und stellte deutlich klar: Die vorvertragliche Informationspflicht nach Art. 1112-1 Code civil besteht ausschließlich für Informationen, die 1sowohl einen unmittelbaren und notwendigen Zusammenhang mit dem Vertragsinhalt oder der Parteienqualität haben, 2als auch von „entscheidender Bedeutung“ für das Einverständnis des Vertragspartners sind. Die bloße Tatsache, dass eine Information eng mit dem Vertrag verknüpft ist, reicht nicht aus: Sie muss wesentlich für die Entscheidung des Käufers oder Vertragspartners gewesen sein.
Im vorliegenden Fall war nicht nachgewiesen, dass die Möglichkeit, im Restaurant Frittierwaren herzustellen, tatsächlich eine „Bedingung von ausschlaggebender Bedeutung“ für den Erwerb der Gesellschaftsanteile darstellte.
Im Gesellschaftszweck und Mietvertrag war lediglich von „schneller Gastronomie“ die Rede, was verschiedene Betriebsformen (auch ohne Frittieren) umfassen kann. Die Revision konnte damit nicht darlegen, dass die unterlassene Information das Einverständnis des Käufers maßgeblich beeinflusst hätte.
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Näheres zur Entscheidung
Die Entscheidung ist richtungsweisend: Die Cour de cassation grenzt die Reichweite der vorvertraglichen Informationspflicht deutlich ein. Beide Voraussetzungen müssen für die Verpflichtung zur Informationsweitergabe kumulativ vorliegen: Erstens muss die Information einen direkten und notwendigen Bezug zum Vertrag oder zur Partei haben, zweitens muss sie für den Vertragsentschluss entscheidend gewesen sein.
Der Gesetzgeber wollte damit Missbrauch und Rechtsunsicherheit im Geschäftsverkehr reduzieren, wie die Entscheidung nun bestätigt. Die Darlegungs- und Beweislast für die „entscheidende Bedeutung“ liegt beim Informationsgläubiger, also bei Unternehmenskäufen dem Käufer.
Für Unternehmen bedeutet dies, dass der Umfang notwendiger offenzulegender Informationen zugunsten von mehr Rechtssicherheit reduziert wird. Käufer französischer Unternehmen können sich demgegenüber nicht darauf verlassen, dass jegliche Information durch den Verkäufer im Rahmen der Due Diligence offen zu legen sind, sondern nur solche, die von elementarer Bedeutung sind.
Cass. com., 14 mai 2025, n° 23-17.948, 23-18.049 und 23-18.082, FS-B; JurisData n° 2025-006629
16.09.2025