Neue „Gerichte für wirtschaftliche Tätigkeiten“ – Französische Handelsgerichte werden teurer
Seit dem 1. Januar 2025 müssen Kläger, die in einer Handelssache Klage erheben wollen, darauf achten, dass 12 der 134 französischen Handelsgerichte (tribunaux de commerce) in tribunaux des activités économiques (kurz: TAE, also Gerichte für wirtschaftliche Tätigkeiten) umbenannt wurden.
Die entsprechende Reform geht jedoch über die reine Umbenennung der Gerichte hinaus und kann sich sowohl auf Ihre Prozessführungsstrategie als auch bereits auf die Vertragsgestaltung auswirken. Außer einem neuen Namen erhalten die Gerichte auch weitere Zuständigkeiten und eine neue Finanzierungsstruktur, die mit den Gerichtskosten vor deutschen Gerichten vergleichbar ist.
Es handelt sich dabei um ein vierjähriges „Experiment“, welches auf dem Gesetz Nr. 2023-1059 vom 20. November 2023 basiert. Von der Reform sind zunächst nur die folgenden zwölf Handelsgerichte betroffen:
- Avignon
- Auxerre
- Le Havre
- Le Mans
- Limoges
- Lyon
- Marseille
- Nancy
- Nanterre
- Paris
- Saint-Brieuc
- Versailles
Hintergrund: Handelsgerichte in Frankreich
Handelsgerichte in Frankreich sind selbständige, spezialisierte erstinstanzliche Gerichte, die für Streitigkeiten zwischen Kaufleuten sowie Streitigkeiten über Handelsgeschäfte ausschließlich zuständig sind. Zudem sind sie für Verfahren wie dem Sicherungsverfahren (sauvegarde judiciaire), dem ordentlichen Insolvenzverfahren (redressement judiciaire) oder dem Liquidationsverfahren (liquidation judiciaire) zuständig, sind also auch als Insolvenzgerichte tätig. Die französischen Handelsgerichte sind ausschließlich mit Laienrichtern besetzt.
In Deutschland gibt es dagegen keine eigenständigen Handelsgerichte mit Laienrichtern. Handelsrechtliche Streitigkeiten werden je nach Streitwert vor den ordentlichen Gerichten, also den Amts- oder Landgerichten ausgetragen. Ab einem Streitwert von 5.000 EUR sind Kammern für Handelssachen bei den Landgerichten zuständig, die mit zwei Handelsrichtern und einem hauptberuflichen Vorsitzenden besetzt sind. In Deutschland ist somit stets ein juristisch ausgebildeter Richter an der Urteilsfindung beteiligt.
Was ändert sich mit den neuen TAE?
Neben der Umbenennung dieser Gerichte und der Erweiterung der Zusammensetzung des Gerichts um Laienrichter, die den Beruf des Landwirts ausüben, sind zwei Neuerungen von besonderem Interesse:
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Einführung einer "Beitragszahlung für die Wirtschaftsjustiz" (contribution pour la justice économique)
Eine bedeutsame Neuerung dieses Experiments ist die Einführung einer gerichtlichen Beitragszahlung (contribution pour la justice économique), die durch das Dekret Nr. 2024-1225 vom 30. Dezember 2024 geregelt wird. Bisher war der Zugang zur Justiz vor allen Gerichten in Frankreich fast kostenlos, abgesehen von sehr geringen Gerichtsgebühren. Mit dieser Reform wird nun ein von Mitarbeiterzahl, Umsatz und Gewinn des Klägers sowie vom Streitwert abhängiger Kostenbeitrag eingeführt.
Diese Beitragszahlung ist für Klagen vor den TAE zu entrichten, deren Streitwert 50.000 Euro übersteigt. Sie gilt jedoch insbesondere nicht für:
- Insolvenz- und vorinsolvenzliche Verfahren (z. B. Ad-hoc-Verwaltung zur Vermeidung und Behebung einer Krise) und Schlichtungsverfahren (conciliation),
- Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten (full-time equivalent).
Die Gebühr wird zurückerstattet, wenn ein Streit durch eine einvernehmliche Lösung beigelegt oder das Verfahren durch Klagerücknahme erledigt wird. Dies soll gütliche Lösungen begünstigen.
Wie wird dieser Beitrag berechnet?
Die Höhe der contribution pour la justice économique hängt von der Leistungsfähigkeit des Klägers und dem Streitwert ab und wird wie folgt kalkuliert:
Durchschnittlicher Jahresumsatz in den letzten drei Jahren
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Höhe des durchschnittlichen Jahresgewinns in den letzten drei Jahren
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Höhe der Gerichtskosten
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Mehr als 50 und bis zu 1.500 Millionen EUR |
Über 3 Millionen EUR |
3 % des Streitwerts, höchstens jedoch 50.000 EUR |
Über 1.500 Millionen EUR |
Über 0 EUR |
5 % des Streitwerts, höchstens jedoch 100.000 EUR |
Der Kläger muss mit der Klageschrift Unterlagen einreichen, die seine wirtschaftliche Situation belegen, damit das Gericht die Höhe der Gerichtskosten bestimmen kann. Dabei handelt es sich um die Gewinn- und Verlustrechnungen (comptes de résultats) der letzten drei Geschäftsjahre, die in den Formularen Nr. 2052 und 2053-SD der Steuererklärung enthalten sind. Ausländische Unternehmen werden vermutlich gleichwertige Unterlagen vorlegen müssen, um ihren Jahresumsatz und Gewinn nachzuweisen. Die Reform äußert sich derzeit nicht zu diesem Fall.
Dazu muss der Antragsteller Unterlagen einreichen, anhand derer festgestellt werden kann, ob er weniger als 250 Beschäftigte hat (full-time equivalent).
Die Geschäftsstelle des Gerichts benachrichtigt den Antragsteller vor dem ersten Gerichtstermin über die zu entrichtenden Gerichtskosten. Die Zahlung erfolgt entweder bei der Gerichtstelle des Gerichts oder per Onlinezahlung.
Muss immer der Kläger die Gerichtskosten tragen? Zunächst werden die Kosten vom Kläger vorgeschossen, durch das Urteil jedoch sodann gemäß Artikel 695 der französischen Zivilprozessordnung (Code de procédure civile) der unterliegenden Partei auferlegt. Dies hat zur Folge, dass eine beklagte Partei, die die Voraussetzungen für die Zahlung des Beitrags als Kläger nicht erfüllen würde, den Beitrag, der von dem ggf. größeren Kläger vorgeschossen werden musste, übernehmen muss. Das Kostenrisiko des Beklagten variiert somit in Abhängigkeit von der Größe des klagenden Unternehmens.
In Deutschland gibt es die Praxis des Gerichtskostenvorschusses schon lange. Das Gericht stellt die Klage in deutschen Zivilverfahren erst dann zu, wenn der Kläger einen Vorschuss auf die Gerichtskosten eingezahlt hat. Insofern nähert sich die neue französische Regelung dem deutschen Modell an.
Es bestehen aber deutliche Unterschiede in Bezug auf die Berechnung und die Anwendung des französischen Kostenbeitrages:
- In Deutschland ist der Gerichtskostenvorschuss grundsätzlich in jedem zivilgerichtlichen Verfahren (mit wenigen Ausnahmen) zu zahlen und nicht nur in Handelssachen;
- Die Pflicht zur Zahlung des Vorschusses besteht unabhängig davon, ob eine Gesellschaft oder eine Einzelperson klagt;
- Die Gerichtskosten bemessen sich in deutschen Verfahren allein nach dem Streitwert und hängen nicht von der Größe, dem Umsatz und der Mitarbeiteranzahl des klagenden Unternehmens ab;
- Auch bei geringen Streitwerten fallen vor deutschen Gerichten Gerichtskosten an.
Neben einer zusätzlichen Ressource für den öffentlichen Justizdienst soll der neue Kostenbeitrag ein Mittel zur Eindämmung aussichtsloser Klagen sowie ein Anreiz zur gütlichen Beilegung von Streitigkeiten sein.
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Erweiterung der Zuständigkeit für Insolvenz- und vorinsolvenzliche Verfahren
Im Bereich der Insolvenz- und Vorinsolvenzverfahren sind die Handelsgerichte bislang nur für Kaufleute und Handwerker zuständig. Für andere Berufsgruppen, insbesondere Landwirte oder Freiberufler, war bisher das allgemeine Zivilgericht (tribunal judiciaire) zuständig.
Die neuen TAE sind dagegen für die Insolvenz- und Vorinsolvenzverfahren betreffend alle Wirtschaftsakteure mit Ausnahme der reglementierten Berufe des Rechtswesens (u. a. Rechtsanwälte, Notare, Gerichtsvollzieher) zuständig. Damit fallen auch Landwirte und Freiberufler unter die Sonderzuständigkeit der TAE.
Die Zuständigkeit der TAE umfasst unter anderem:
- Frühwarnverfahren und vorinsolvenzliche Verfahren, z. B. das ad hoc-Verfahren oder das gerichtliche Schlichtungsverfahren (procédure de conciliation);
- Insolvenzverfahren, einschließlich Rettungsverfahren (sauvegarde judiciaire), Sanierungsverfahren (redressement judiciaire) und Liquidationsverfahren (liquidation judiciaire);
- Bestimmte Streitigkeiten im Zusammenhang mit gewerblichen Mietverträgen, sofern sie mit Insolvenzverfahren in Zusammenhang stehen (im Übrigen unterliegen Streitigkeiten über Gewerbemietverträge der ordentlichen Gerichtsbarkeit (tribunal judiciaire).
Mögliche Auswirkungen auf die Vertragsgestaltung und die Prozessstrategie
Sie sollten diese Reform der Handelsgerichtbarkeit bei Ihrer Prozessstrategie berücksichtigen: Falls für eine Klage mehrere Gerichte örtlich zuständig sind, von denen eines ein TAE ist, kann es sich anbieten, vor einem unreformierten Handelsgericht zu klagen, um die Zahlung von Gerichtskosten zu vermeiden. Andererseits ist es zumindest denkbar, dass die Verfahren vor den TAE künftig schneller bearbeitet werden als vor den anderen Handelsgerichten, da einige Antragssteller diese meiden werden. Im Einzelfall muss also geprüft werden, ob die Anrufung des TAE oder eines anderen Gerichts (sofern möglich) sinnvoller ist.
Auch bei der Vertragsgestaltung sollte die Existenz der "tribunaux des activités économiques" bereits jetzt berücksichtigt werden: So kann es aus Kostengründen empfehlenswert sein, die ausschließliche Zuständigkeit eines Handelsgerichts zu vereinbaren, welches noch nicht in ein TAE umgewandelt wurde.
Bewertung und Zukunftsaussichten
Das Experiment der TAE ist auf vier Jahre angelegt. Vor dem Ablauf dieser Frist muss die Regierung dem Parlament eine Evaluierung vorlegen, in der unter anderem die Auswirkungen dieser Reform auf die Dauer von Insolvenzverfahren, die Qualität der juristischen Dienstleistungen und die Zufriedenheit der beteiligten Akteure untersucht werden.
Falls das Experiment erfolgreich ist, könnte die Reform nach 2028 auf alle Handelsgerichte in Frankreich ausgeweitet werden.
Praxistipps
Falls Sie oder Ihre Vertragspartner grundsätzlich die Kriterien der Beitragspflicht vor den neuen tribunaux des affaires économiques erfüllen (u. a. mehr als 250 Beschäftigte; durchschnittlicher Jahresumsatz über 50 Millionen EUR), sollten Sie prüfen, ob die örtliche Zuständigkeit eines dieser TAE für künftige Streitigkeiten in Betracht kommt und, ob diese Zuständigkeit sich durch eine Gerichtsstandklausel zugunsten eines anderen Gerichts vermeiden lässt. Gerne können wir Sie dazu beraten.
Falls Sie beabsichtigen, Klage vor einem der neuen tribunaux des affaires économiques zu erheben (z. B. gegen eine Gesellschaft mit Sitz im Gerichtsbezirk eines TAE):
- Stellen Sie sicher, dass Sie die vom Gericht geforderten Dokumente einreichen, um Ihre wirtschaftliche Situation im Hinblick auf die contribution pour la justice économique nachzuweisen (Umsatz, Gewinn, Anzahl der Mitarbeiter, Streitwert). Wenn Sie in Frankreich Steuererklärungen abgeben, handelt es sich um die Formulare 2052 und 2053-SD - Gewinn- und Verlustrechnung des Geschäftsjahres – der Steuerklärung.
- Achten Sie darauf, die contribution pour la justice économique ordnungsgemäß zu entrichten, da Ihre Klage sonst als unzulässig abgewiesen werden kann oder sich das Verfahren verzögern könnte.
13.03.2025