Schiedsverfahren in Frankreich: Risiken durch unterbliebenen Verfahrenskostenvorschuss
In einem aktuellen Urteil vom 9. Februar 2022 (Nr. 21-11.253) überrascht der französische Kassationsgerichtshof („Cour de cassation“) die Welt der Schiedsgerichtsbarkeit mit seiner weiten Auslegung des Grundsatzes der Loyalitätspflicht im Verfahren („loyauté procédurale“). Damit nimmt dieses Prinzip unerwartete und unserer Meinung nach unglückliche Ausmaße an, die zu Verzögerungstaktiken der Parteien in Schiedsverfahren führen könnten.
Der Kern dieses Urteils betrifft die Ansicht des französischen Kassationsgerichtshofs, wonach die Nichtzahlung eines Verfahrenskostenvorschusses auf die Schiedsgerichtskosten durch die beklagte Partei als Verzichtserklärung auf die Anwendung der Schiedsklausel angesehen werden kann.
Ein Franchisenehmer (im Insolvenzverfahren) reichte bei der ICC eine Schiedsklage gegen einen Franchisegeber ein. Der Franchisegeber weigerte sich, den Verfahrenskostenvorschuss zu zahlen. Der Franchisenehmer verklagte den Franchisegeber einige Jahre später vor dem Handelsgericht („Tribunal de commerce“). Der Franchisegeber bestritt daraufhin die Zuständigkeit dieses Handelsgerichts zugunsten der Zuständigkeit des Schiedsgerichts.
Im vorliegenden Fall hatte zunächst das französische Berufungsgericht Pau[1] das Handelsgericht zugunsten des Schiedsgerichts für unzuständig erklärt. Zur Begründung hatte es sich darauf gestützt, dass es den Parteien, welche die Zahlung der Vorschüsse nicht geleistet haben, nach der ICC-Schiedsgerichtsordnung nicht verwehrt werden könne, zu einem späteren Zeitpunkt erneut eine Schiedsklage einzureichen. Aus der Nichtzahlung des Verfahrenskostenvorschusses könne laut dem Berufungsgericht nicht geschlossen werden, dass die Parteien auf die Anwendung der Schiedsklausel verzichtet hätten. Die Schiedsklausel behalte somit trotz der Nichtzahlung des Verfahrenskostenvorschusses durch den Beklagten ihre volle Wirkung.
Der französische Kassationsgerichtshof verwarf diese Lösung und hob das Urteil auf. Er führte aus, dass die Beklagte, welche selbst die Rücknahme der Schiedsklage durch Nichtzahlung ihres Anteils am Verfahrenskostenvorschuss verursacht hatte, nicht berechtigt war, sich auf die Schiedsklausel zu berufen, um die Zuständigkeit des staatlichen Gerichts abzulehnen.
Der französische Kassationsgerichtshof erklärt, dass die Parteien einer Schiedsvereinbarung im Verfahren einer Loyalitätspflicht unterliegen. Laut dieses Prinzips sei es unzulässig, sich auf die Schiedsklausel zu berufen, wenn eine der Parteien ihren Teil des Verfahrenskostenvorschusses, der ihr gemäß der Schiedsgerichtsordnung, der sie zugestimmt hat, obliegt, nicht zahlt. Die Nichtzahlung des Verfahrenskostenvorschusses hat somit den Verzicht auf die Schiedsklausel zur Folge.
Praxistipp:
Achten Sie genau darauf, dass Sie Ihren Verfahrenskostenvorschuss einzahlen, damit die Gegenseite nicht vor den französischen Gerichten behaupten kann, Sie hätten auf die Schiedsklausel verzichtet.
[1] Berufungsgericht von Pau, 5. Nov. 2020, Nr. 20/01175, Dalloz actualité, 15 Jan. 2021, obs. Jourdan-Marques (J.)