Schuldbeitritt der Muttergesellschaft bei Zahlung für insolvente französische Tochter?
In einer Entscheidung (Cass. com, Urteil vom 9. November 2022, 20-22.063) befasst sich der französische Kassationsgerichtshof mit der Verantwortlichkeit einer Muttergesellschaft, die auf Grundlage des Prinzips der Einmischung (immixtion) auf die Zahlung einer Verbindlichkeit ihrer insolventen Tochtergesellschaft verklagt wurde.
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Das Urteil
Eine Klinikgesellschaft unterzeichnete einen Vertrag mit einem Restaurantdienstleister. Aufgrund von vorübergehenden Zahlungsschwierigkeiten der Klinik beglich deren Muttergesellschaft einen Teil des ausstehenden Rechnungsbetrags. Einige Monate später musste die Tochter allerdings wegen Zahlungsunfähigkeit Insolvenz anmelden. Der ausstehende Rechnungsbetrag wurde im Rahmen des Insolvenzverfahrens für uneinbringlich erklärt. Der Dienstleister verklagte nunmehr die Muttergesellschaft auf Zahlung der ausstehenden Beträge, mit der Begründung, diese müsse aufgrund ihrer Einmischung in die finanziellen Verhältnisse ihrer Tochter für deren Zahlungspflichten einstehen. Das Berufungsgericht gab dem Dienstleister recht.
Die Muttergesellschaft focht das Berufungsurteil vor dem Kassationsgerichtshof an und stützte ihre Argumentation darauf, dass Verträge nur zwischen den Vertragsparteien Geltung entfalten sowie dass es sich bei ihrer Tochtergesellschaft um eine selbstständige juristische Person handele. Eine punktuelle Zahlung, um einen dringlichen Finanzbedarf zu decken, könne nicht allein als solche Einmischung angesehen werden und sei nicht geeignet, ein begründetes Vertrauen der Vertragsgegenseite zu wecken, die Muttergesellschaft sei in die Schuldnerstellung ihrer eingerückt.
Das oberste französische Zivilgericht gab der Muttergesellschaft recht und wies die Zahlungsklage des Dienstleisters ab.
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Einordnung
In der französischen Rechtslehre wird dieses Urteil als Bestätigung der Rechtsprechung angesehen, die die Autonomie juristischer Personen unterstreicht.
Gleichwohl ist es sinnvoll, sich daran zu erinnern, dass es das Argument der Einmischung (immixtion) in Frankreich gibt: Nach französischem Recht kann eine Muttergesellschaft ausnahmsweise für die von ihrer Tochtergesellschaft eingegangen Verpflichtungen haftbar gemacht werden, wenn sie sich in die operationelle Geschäftsführung der Tochtergesellschaft eingemischt hat und diese Einmischung den irreführenden Eindruck und das legitime Vertrauen der Gegenseite erwecken konnte, die Muttergesellschaft sei ihr Vertragspartner geworden.
Hierfür bestehen folgende Indizien, die zwar nicht für sich genommen, aber gehäuft und bei gewisser Schwere, eine Einmischung begründen können: Höhe der Kapitalbeteiligung, Auftreten unter gleicher Firma oder Marke, gleicher Sitz, Personenidentität der Organträger, unübliche Finanzflüsse, Übernahme von Schulden im Außenverhältnis, Eingriff in die Verhandlungen, oder das Führen von Vergleichsverhandlungen über Forderungen gegen die Tochter im Streitfall.
Tipp:
Vorsicht beim Begleichen von Verbindlichkeiten im Außenverhältnis für Ihre französische Tochtergesellschaft in der Krise. Der vorliegende Fall zeigt, dass eine punktuelle Teilzahlung im Notfall unschädlich sein kann. Insgesamt besteht bei Anwendung des französischen Rechts jedoch ein naheliegendes Risiko, dass durch eine Zahlung auf die Schuld der Tochtergesellschaft der Eindruck eines Schuldbeitritts oder gar einer Schuldübernahme entstehen und die Muttergesellschaft damit auch für weitere Verbindlichkeiten der Tochter haftbar gemacht werden kann.