Vertretungsmacht des Generaldirektors einer französischen SAS
Am 25. Mai 2022 hat die Kammer für Handelssachen des französischen Kassationsgerichtshofs entschieden, dass der Eintrag des Generaldirektors (directeur général) einer Société par actions simplifiées (S. A. S. = eine Art vereinfachte Aktiengesellschaft) im Handelsregisterauszug (extrait-Kbis) nicht ausreicht, um dessen Vertretungsmacht gegenüber Dritten zu beweisen.
Das Berufungsgericht hatte noch entschieden, dass der Generaldirektor die SAS als deren Organ gegenüber einer ermittelnden Zollbehörde wirksam vertreten könne, zumal er in dieser Funktion auch im Handelsregisterauszug aufgeführt war, was ihn bereits als rechtlichen Vertreter der Gesellschaft im Außenverhältnis legitimiere.
Die Richter des französischen Kassationshofes sahen die Rechtslage anders und hoben das Berufungsurteil auf: Nach Auffassung der obersten französischen Richter hätten das Berufungsgericht sowie die ermittelnde Zollbehörde überprüfen müssen, ob die Satzung dem Generaldirektor auch Vertretungsmacht gegenüber Dritten verleiht.
Gemäß Art. L. 227-6 des frz. Handelsgesetzbuchs (Code de commerce) wird eine SAS in Frankreich notwendigerweise von einem Präsidenten (président) unbeschränkt nach außen vertreten. Daneben kann als weiteres Organ ein sog. Generaldirektor (directeur général) ernannt werden. Anders als beim Präsidenten, ist der Generaldirektor allerdings nur dann vertretungsbefugt, wenn die Satzung ihm die entsprechenden Rechte einräumt.
Mit dem Urteil vom 18. Mai 2010 (n° 10-710) hat das Pariser Berufungsgericht entschieden, dass die in das Handelsregister eintragungspflichtigen Tatsachen gem. Art. R. 123-54 c.com. unabhängig von der Gesellschaftsform und Satzung der Gesellschaften gelten. So müssen Organe der Gesellschaft wie der Generaldirektor oder der stellvertretende Generaldirektor unabhängig vom eigentlichen Umfang ihrer satzungsgemäßen Vertretungsbefugnis im Handelsregisterauszug der SAS genannt werden, da es sich hierbei um eintragungspflichtige Tatsachen i. S. d. Art. R. 123-54 des c.com. handelt. Ihre Eintragung im Handelsregister sagt allerdings nichts über den Umfang ihrer Vertretungsmacht aus.
Es mag vielleicht zunächst befremdlich wirken, dass ein im französischen Handelsregister eingetragenes Organ die Gesellschaft nicht zwingend vertreten kann. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Rechtsverkehr weiterhin dadurch geschützt ist, dass die SAS dem Dritten wiederum die fehlende satzungsgemäße Vertretungsbefugnis des in ihrem Namen handelnden Generaldirektors nicht entgegenhalten kann (C. Cass. com. 09.07.2013 n° 12-22.627), sofern der Dritte keine Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von der fehlenden Vertretungsbefugnis des Generaldirektors hatte (s. a. C. Cass. mixte 19.11.2010 n° 10-10.095)
Praxistipp:
- Wir empfehlen aufgrund der den Rechtsverkehr schützenden Rechtsprechung, ein Organ, das lediglich mit Leitungs- und Verwaltungsbefugnissen im Innenverhältnis betraut werden soll, ohne eine Vertretungsbefugnis zu haben, nicht als Generaldirektor zu bezeichnen. Denn allein der Titel des Generaldirektors reicht aus, die Gesellschaft trotz Nichtvorliegen einer Befugnisübertragung i. S. d. des Art. L. 227-6 des frz. Handelsgesetzbuchs zu verpflichten (C. Cass. com. 09.07.2013 n° 12-22.627).
- Als Vorsichtsmaßnahme empfehlen wir Vertragspartnern einer SAS, vor Abschluss von Verträgen mit deren Generaldirektor, von dieser Person einen Nachweis über ihre Befugnisse sowie eine Kopie der aktuellen Satzung und der entsprechenden Ernennungsurkunde zu verlangen.
Urteilsreferenz: C. Cass. com. 25 mai 2022, n° Q 20-21.460
Dieser Artikel wurde von Dr. Christophe Kühl in Zusammenarbeit mit unserer Praktikantin Katharina Abels verfasst.
27.09.2022