Wann springt die französische Insolvenzausfallkasse (AGS) ein?
In einem Beschluss vom 9. September 2022 hat das Berufungsgericht Toulouse (Cour d’appel de Toulouse) entschieden, dass die französische Insolvenzausfallkasse AGS (Association pour la gestion du régime de Garantie des créances des Salariés) ein nur beschränktes Prüfungsrecht im Hinblick auf die Übernahme der Lohnkosten im Rahmen eines ordentlichen Insolvenzverfahrens in Frankreich hat und sie nicht etwa mit dem Verweis auf eine fehlende Mittellosigkeit des insolventen Unternehmens verweigern darf.
Die AGS ist ein Arbeitgeberverband, welcher die ausstehenden Forderungen der Arbeitnehmer gegenüber vermögenslosen Arbeitgeber durch die Beiträge der Verbandsmitglieder befriedigt. Insoweit ist die AGS also als Insolvenzausfallkasse zu verstehen.
Nach dem französischen Arbeitsgesetzbuch kann der Insolvenzverwalter lediglich dann die AGS einschalten, wenn das verbleibende Firmenvermögen zur Befriedigung der fälligen Arbeitnehmerlöhne nicht ausreicht.
Sind im Unternehmen keine verfügbaren Barmittel mehr vorhanden, darf der Insolvenzverwalter unter Vorlage der von ihm angefertigten und an die AGS weitergereichten Aufstellungen von Lohnforderungen die Vorleistung durch das Sicherungssystem der AGS beanspruchen. Die Insolvenzausfallkasse prüft anschließend die Auszahlung an das insolvente Unternehmen.
In der entschiedenen Angelegenheit lehnte die AGS die Übernahme der Lohnzahlungen mit der Begründung ab, dass der potenziell im Rahmen einer geplanten Unternehmensveräußerung zu erzielende Erlös zur Befriedigung der Arbeitnehmer ausreichen würde.
Nachdem sich der betroffene Insolvenzverwalter ohne Erfolg an das Handelsgericht Toulouse wandte, ging er vor dem Berufungsgericht in die zweite Instanz. Dieses gab dem Kläger letztlich Recht: Im Gegensatz zum vorinsolvenzrechtlichen Rettungsverfahren (procédure de sauvegarde), das eröffnet wird, solange das Unternehmen noch nicht zahlungsunfähig ist, sei die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens für die Eröffnung eines ordentlichen Insolvenzverfahrens (procédure de redressement) oder eines Liquidationsverfahrens (procédure de liquidation) gerade die Voraussetzung. Da über das Vermögen des streitgegenständlichen Unternehmens ein ordentliches Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, habe der Insolvenzverwalter gegenüber der AGS nicht noch einmal die Mittellosigkeit darzulegen. Die französische Insolvenzkasse könne eine Kostenübernahme auf Antrag des Insolvenzverwalters lediglich verweigern, in dem sie einzelne Lohnansprüche der Arbeitnehmer bestreitet, etwa wegen Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags, nicht hingegen unter Hinweis auf eine fehlende Mittellosigkeit.
Dieser Artikel wurde von Dr. Christophe Kühl in Zusammenarbeit mit unserem Praktikanten Noah Bebnowski verfasst.
28.09.2022