Zehnjährige Haftung in Frankreich konkretisiert
In einer aktuellen Entscheidung vom 26. Juni 2025 (Cour de cassation, 3e civ., Nr. 23-18.306) hat das höchste französische Zivilgericht klargestellt, unter welchen Bedingungen zukünftige Bauschäden über die zehnjährige Bauherrenhaftung (garantie décennale) ersetzt werden können.
Konkret ging es um die Frage: Reicht es aus, wenn innerhalb der zehnjährigen Frist nach Abnahme eines Bauwerks ein erhebliches Risiko für einen Schaden festgestellt wird – oder muss der Schaden tatsächlich eingetreten sein, um einen Anspruch zu begründen?
Der Fall
Ein Unternehmer ließ ein gewerbliches Gebäude errichten. Nach der Abnahme stellte sich heraus, dass das Gebäude einem erheblichen Überschwemmungsrisiko ausgesetzt war. Ein Bausachverständiger bestätigte, dass die Gefahr durchaus gravierend war und damit grundsätzlich in den Anwendungsbereich der garantie décennale fiel.
Der Bauherr klagte gegen die ausführenden Unternehmen und deren Versicherer. Seine Argumentation: Das festgestellte Risiko sei so erheblich, dass schon jetzt klar sei, dass ein Schaden entstehen werde – und dies müsse für die Haftung ausreichen. Die Gerichte erster Instanz sahen das anders und wiesen die Klage ab. Der Bauherr legte Revision ein.
Die Entscheidung: Risiko allein reicht nicht
Das Kassationsgericht bestätigte die Entscheidung der Vorinstanzen. Um eine Haftung nach der garantie décennale auszulösen, muss ein erheblicher Schaden tatsächlich innerhalb von zehn Jahren nach der Abnahme des Bauwerks eintreten. Es reicht nicht aus, wenn nur ein zukünftiger Schaden befürchtet wird oder ein Risiko festgestellt wird – selbst wenn dieses Risiko hoch ist.
Die Begründung: Die zehnjährige Haftung schützt den Eigentümer in einem fest definierten Zeitraum nach der Bauabnahme. Innerhalb dieser Zeit muss sich der Mangel realisiert haben, also zu einem konkreten Schaden geführt haben. Ein Sachverständigengutachten, das nur auf ein Risiko oder einen möglicherweise späteren Schaden hinweist, genügt nicht.
Was bedeutet das in der Praxis?
Für Bauherren, Investoren und Versicherer bedeutet das: Wer Ansprüche aus der garantie décennale geltend machen möchte, muss nachweisen, dass der Schaden bereits im Laufe der zehn Jahre eingetreten ist, und nicht nur, dass ein solcher Schaden mit hoher Wahrscheinlichkeit später auftreten wird.
Im Unterschied zum allgemeinen Haftungsrecht in Frankreich, bei dem unter bestimmten Umständen auch zukünftige Schäden ersetzt werden können, ist die zehnjährige Bauschadenhaftung strenger. Sie greift nur bei tatsächlichen Schäden innerhalb der Frist.
Typische Ausnahmefälle – aber mit Vorsicht
In manchen Konstellationen, etwa wenn ein Gebäude nicht den geltenden Sicherheitsnormen (z. B. Erdbebenschutz) entspricht, wurde ein „schadensgleicher Mangel“ auch ohne eingetretenen Schaden anerkannt. Doch auch hier ist die Rechtsprechung vorsichtig: Entscheidend bleibt stets, ob der Mangel den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Gebäudes erheblich beeinträchtigt.
Unser Fazit
Die Entscheidung bringt mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten im Bauwesen in Frankreich: Ein festgestelltes Risiko ist noch kein ersatzfähiger Schaden. Nur wenn sich der Mangel bereits innerhalb der zehn Jahre nach Abnahme konkret auswirkt, kommt eine Haftung in Betracht.
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14.07.2025