Zur Insolvenzhaftung in Frankreich bei Unterkapitalisierung
Die Untätigkeit eines Geschäftsführers bei Verlust des Eigenkapitals führt nicht zu dessen Haftung, wenn sich die Gesellschaft während der gesetzlichen zwei-Jahres-Frist zur Rekapitalisierung in einem Sanierungsverfahren befunden hat.
Geschäftsleiter können in französischen Liquidationsverfahren (liquidation judiciaire) nach Art. L. 651-2 C. com. bei Vorliegen eines Geschäftsführungsfehlers (faute de gestion) auf Liquidationsfehlbeträge haften (responsabilité pour insuffisance d’actif). Bei dem Geschäftsführungsfehler kann es sich um positive Handlungen oder Unterlassungen handeln, so in der Regel bei einer verspäteten Antragsstellung. Seit einer Reform von 2016 reicht die bloße Fahrlässigkeit (simple négligence) indes nicht mehr aus. Klageberechtigt sind der Liquidator, der Staatsanwalt sowie unter bestimmten Bedingungen die Mehrheit der Kontrolleure.
In dem vom obersten französischen Gericht entschiedenen Fall verklagte der Liquidator den Geschäftsführer einer Anwaltskanzlei (Rechtsform SARL) auf Ausgleich der Liquidationsfehlbeträge gem. Art. L. 651-2 C.com. Die Gesellschaft befand sich nach Feststellung der Zahlungsunfähigkeit zunächst in einem Sanierungsverfahren, das anschließend in ein Liquidationsverfahren umgewandelt wurde.
Das Eigenkapital der Gesellschaft fiel unter die Hälfte des Stammkapitals. Gemäß Artikel L. 223-42 des französischen Handelsgesetzbuches können die Gesellschafter in einem solchen Fall innerhalb von vier Monaten nach Genehmigung des Jahresabschlusses, der diese Unterkapitalisierung ausweist, die vorzeitige Auflösung der Gesellschaft beschließen. Tun sie dies nicht, ist die Gesellschaft verpflichtet, spätestens am Ende des zweiten Geschäftsjahres, das auf das Geschäftsjahr folgt, in dem das Eigenkapital verloren wurde, Kapitalmaßnahmen zu ergreifen.
Das Berufungsgericht Versailles (13e chambre, 2. Juli 2019) verurteilte den Geschäftsführer zur Übernahme der Liquidationsfehlbeträge, weil dieser trotz Verlustes des Eigenkapitals keine Kapitalmaßnahmen ergriffen hatte und damit einen Geschäftsführungsfehler begangen habe.
Die Cour de Cassation (8 September 2021 / n°19-23.187) hob dieses Urteil nunmehr auf. Das höchste französische Gericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Vorschriften zur Kapitalerhaltung gemäß Artikel L. 223-42, al. 5 C.com. gar nicht anwendbar seien, weil sich die Gesellschaft in einem Sanierungsverfahren befand. Da keine gesetzliche Verpflichtung zur Rekapitalisierung bestand, sei dem Geschäftsführer das Unterlassen auch nicht vorwerfbar, eine Haftung des Geschäftsführers schied somit aus.
Cour de cassation, 8 septembre 2021 / n°19-23.187
18.10.2021