Zur Zuständigkeit der französischen Landgerichte für Mahnverfahren
Das schnelle und kostengünstige französische Mahnverfahren ermöglicht es einem Gläubiger, der eine Forderung über einen Geldbetrag hat, innerhalb kurzer Zeit einen Vollstreckungstitel zu erlangen und stellt somit ein effizientes Mittel zum Einzug einer Forderung dar. Dieses im Jahr 1937 eingeführte Verfahren erweist sich in doppelter Hinsicht als äußerst erfolgreich und effizient: In Frankreich werden jedes Jahr ca. 670.000 Mahnbescheide erlassen, wobei gegen 95 % der Bescheide kein Widerspruch seitens des Schuldners erfolgt.
Bislang fiel das französische Mahnverfahren in die Zuständigkeit des Tribunal de Commerce (des französischen Handelsgerichts), der Juridiction de proximité (ein in Frankreich erstinstanzlich urteilendes Laiengericht) und des Tribunal d’instance (entspricht im Deutschen in etwa dem Amtsgericht): Ersteres war, unabhängig von der Höhe der Forderung, für alle Forderungen handelsrechtlicher Natur zuständig, während die Juridiction de proximité für zivilrechtliche Forderungen bis zu einer Höhe von 4.000 € und Letzteres für alle übrigen zivilrechtlichen Forderungen zuständig war.
Diese Aufteilung der Rechtsangelegenheiten brachte es mit sich, dass das Tribunal d'instance Mahnbescheide erlassen konnte, die Forderungen von mehr als 10.000 € betrafen, obwohl es ansonsten für nur für Streitgegenstände unter 10.000 € sachlich zuständig ist.. Denn laut der Grundsätze der französischen Gerichtsorganisation fallen Streitsachen mit einem Streitwert ab 10.000 € grundsätzlich in die Zuständigkeit des Tribunal de grande instance (entspricht im Deutschen in etwa dem Landgericht).
Diese Regelung zur Übertragung der Zuständigkeit führte zu folgenden Schwierigkeiten: Lag die Höhe der streitgegenständlichen Forderung über 10.000 €, konnte einerseits der Beklagte im Falle eines Widerspruchs anführen, dass nicht das Tribunal d’instance, sondern das Tribunal de grande instance zuständig ist, was für den Kläger eine Verlangsamung des Verfahrens und zusätzliche Kosten bedeutete. Andererseits konnten sich die Richter des Tribunal d’instance in der Praxis selbst zögerlich zeigen, wenn es darum ging, einen Mahnbescheid für eine Forderung in Höhe von über 10.000 € zu erlassen.
Ausgehend von dieser Feststellung wurde die Zuständigkeit für französische Mahnverfahren durch das Gesetz Nr. 2011-1862 vom 13. Dezember 2011 auf das Tribunal de grande instance ausgeweitet, welches seit dem 1. Januar 2013 über Anträge auf Erlass von Mahnbescheiden entscheidet, die solche zivilrechtlichen Forderungen betreffen, die über 10.000 € liegen und nicht in die ausschließliche Zuständigkeit des Tribunal d'instance fallen.
Mit dem Dekret Nr. 2012-1515 vom 28. Dezember 2012 werden die Verordnungsbestimmungen verabschiedet, welche für die Umsetzung dieser Ausweitung erforderlich sind. Damit werden insbesondere die Artikel 1418 und 1419 der französischen Zivilprozessordnung modifiziert, um die Modalitäten für die Ladung und Vertretung der Parteien vor dem Tribunal de grande instance anzupassen, vor dem für Gläubiger und Schuldner im Falle eines Widerspruchs durch Letzteren die Pflicht besteht, einen Rechtsanwalt zu bestellen.
Auch wenn das französische Mahnverfahren durch diese Gesetzesreform an Effizienz gewinnt, so gilt dies nicht für sein europäisches Pendant.
Mit dem erklärten Ziel, die Schritte der Rechtssuchenden zu vereinfachen, hat der französische Gesetzgeber die Arten der Gerichte, die sachlich dafür zuständig sind, über Anträge auf Erlass eines europäischen Mahnbescheids zu entscheiden, deutlich reduziert. Diese Anträge konnten bislang, je nach Art und Höhe der Forderung, vor fünf Arten von Gerichten gestellt werden: Der Juridiction de proximité, dem Tribunal d’instance, dem Tribunal de grande instance, dem Tribunal de Commerce und dem französischen Arbeitsgericht.
Seitdem am 1. Januar 2013 der Artikel 4 des Gesetzes Nr. 2011-1862 vom 13. Dezember 2011 in Kraft getreten ist, wurde die Anzahl der zuständigen Gerichte von fünf auf zwei reduziert. Tatsächlich weist besagter Artikel den Tribunaux d'instance und den Tribunal de Commerce explizit die alleinige Zuständigkeit für europäische Mahnverfahren zu, je nachdem, ob die jeweilige Forderung zivilrechtlicher oder handelsrechtlicher Natur ist.
In zivilrechtlichen Angelegenheiten ist von nun an einzig das Tribunal d’instance dazu befugt, über Anträge auf Erlass eines europäischen Mahnbescheids zu entscheiden, und zwar unabhängig von der Höhe der Forderung. Dies hat zwangsläufig eine Überschreitung des in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden Streitwertes zur Folge, was insofern erstaunt, als dass die Ausweitung der Zuständigkeit für das französische Mahnverfahren auf das Tribunal de grande instance eben genau darauf abzielt, eine solche Überschreitung aufgrund der dadurch entstehenden Schwierigkeiten zu vermeiden.
Es bleibt zu wünschen, dass der französische Gesetzgeber die Vorschriften zur Zuständigkeit, welche für das europäische Mahnverfahren gelten, zukünftig an jene anpasst, welche seit dem 1. Januar 2013 für nationale Mahnverfahren Anwendung finden.
28.01.2013