Bezahlter Urlaub: Der französische Kassationsgerichtshof stellt das französische System aufgrund der europäischen Rechtsprechung zum Teil in Frage
Das im Bereich des bezahlten Urlaubs sehr komplexe französische Arbeitsrecht sieht vor, dass ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Urlaub erst erwirbt, wenn er mindestens 10 Tage für denselben Arbeitgeber gearbeitet hat.
Bereits 2009 hatte der französische Kassationsgerichtshof den Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass diese Voraussetzung gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verstößt, laut welcher das Recht auf bezahlten Urlaub nicht davon abhängig gemacht werden darf, dass der Arbeitnehmer eine Mindestzeit im Unternehmen gearbeitet hat. (EuGH, 26. Juni 2001, C-173/99; EuGH, 20. Januar 2009, C-350/06).
Diese Rechtsprechung basiert auf Artikel 7 der europäischen Richtlinie 2003/88/EC, der einen Mindesturlaub von 4 Wochen im Jahr vorsieht.
Der französische Kassationsgerichtshof hat die Gelegenheit eines aktuellen Falls genutzt, um im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens konkrete Fragen an den EuGH zu stellen.
Eine Arbeitnehmerin, die auf Grund eines Unfalls auf dem Weg zum Arbeitsplatz ein Jahr lang krankgeschrieben war und somit die minimale Tätigkeitsdauer von 10 Tagen nicht erfüllte, macht ihren Anspruch auf bezahlten Urlaub geltend.
Problematisch an dem Fall ist zum einen, dass die Arbeitnehmerin keine 10 Tage gearbeitet hat, zum anderen, dass die Abwesenheit aufgrund eines Unfalls auf dem Arbeitsweg nicht sowie beim Arbeitsunfall als tatsächliche Arbeitszeit betrachtet wird.
In diesem Rahmen hat der französische Kassationsgerichtshof folgende Fragen an den EuGH gestellt:
- Steht die Richtlinie 2003/88/CE der minimalen Tätigkeitsdauer, die das französische Arbeitsgesetzbuch voraussetzt, entgegen?
- Im bejahenden Fall, kann der Artikel 7 der europäischen Richtlinie vom französischen Gericht direkt angewendet werden, und somit eine Beseitigung der französischen gesetzlichen Regelung erlauben?
- Wie werden die verschiedenen Ursachen einer Krankschreibung bei der Berechnung des Urlaubanspruchs berücksichtigt und sollen die Mitgliedstaaten ihre eigenen Regelungen hierzu anwenden?
Die Antwort auf diese Fragen ist noch nicht bekannt, sie wird aber sicherlich größere Auswirkungen auf das französische Arbeitsrecht haben.
Cass. Soc, 2 juin 2010, n°08-44.834, Dominguez c/ Centre informatique du centre Ouest Atlantique.
Praxistipp: Die Berechnung der Urlaubsansprüche in Frankreich unterscheidet sich stark von den deutschen Berechnungsmodalitäten. Sie hängt nicht nur von der Betriebszugehörigkeit ab, sondern auch von dem Zeitpunkt im Kalenderjahr: Erst ab dem 1 Mai eines Jahres kann ein Mitarbeiter die seit dem 1. Juni des Vorjahres erworbenen Urlaubstage in Anspruch nehmen.
01.12.2010