Die Kündigung durch Schweigen des Arbeitgebers in Frankreich
Die unterbliebene Information des Arbeitnehmers über seine weiteren Funktionen im Unternehmen kann nach französischem Arbeitsrecht eine arbeitgeberseitige Kündigung darstellen. Dem Arbeitgeber, der auf Anfragen des Arbeitnehmers nicht antwortet, droht Schadensersatz.
Ist der Arbeitnehmer über seine künftige Position im Unternehmen im Ungewissen und hat er den Arbeitgeber aufgefordert, Klarheit zu schaffen, führt das Schweigen des Arbeitgebers in Frankreich zu einer Kündigung des Arbeitsvertrages zu Lasten des Arbeitgebers („prise d’acte de la rupture du contrat de travail“).
Ein Arbeitgeber, der während einer Zeit des Unternehmenswandels den Arbeitnehmer in Erwartung über die Art seiner Aufgaben verlässt und keine konkrete Antwort auf seine Forderungen gibt, verletzt seine arbeitsrechtlichen Verpflichtungen schwerwiegend. Der Arbeitnehmer ist nach französischem Arbeitsrecht berechtigt, eine de facto Kündigung des Arbeitsvertrags anerkennen zu lassen, welche dann auch automatisch unbegründet und – weil das gesetzlich vorgeschriebene besondere Kündigungsverfahren nicht eingehalten wurde - auch noch nicht rechtmäßig erfolgt ist. Beide Tatbestände führen zugunsten des französischen Arbeitnehmers zu Schadensersatzansprüchen.
In dem vom französischen Kassationsgerichtshof („Cour de cassation“) entschiedenen Fall wurde ein Mitarbeiter, der im Unternehmen Einkäufer war, im Januar 2012 darüber informiert, dass sein Unternehmen einen Reorganisationsprozess durchläuft. Der Bereich, für den er bisher tätig war, musste abgeschafft und seine Tätigkeit auf einen anderen Standort verlagert werden.
Im Laufe des Januars 2012 bat er den Arbeitgeber per E-Mail, ihn über seine künftige Tätigkeit zu informieren: Seine Position als Einkäufer war abgeschafft worden und er war aufgrund des Verbots des Direktkaufs und des fehlenden Zugangs zu den notwendigen IT-Tools faktisch nicht in der Lage, seine Arbeit zu verrichten. Der Arbeitgeber antwortete lediglich: „Sobald der Umzug abgeschlossen ist, wird die IT einsatzbereit sein und dann findet ein Treffen zwecks Festlegung der Strategie statt“. Ende Januar stellte der Mitarbeiter erneut seine Anfrage, die unbeantwortet blieb. Er stellte daraufhin fest, dass sein Arbeitsvertrag aufgrund des Verhaltens des Arbeitgebers de facto gekündigt war. Der Arbeitgeber habe seine Pflicht verletzt, den Arbeitnehmer Arbeit anzubieten, und hat ihn in eine Position der Erwartung über Art und Umfang seiner künftigen Aufgaben versetzt.
Für das Berufungsgericht, dessen Entscheidung vom Kassationsgericht am 6. Dezember 2017 bestätigt wurde (Entscheidung Nr. 16-22.019), ist die Tatsache, dass ein Arbeitgeber während einer Umstrukturierungsphase einen Arbeitnehmer trotz dessen Bitten in Unkenntnis seiner künftigen Pflichten zurücklässt, ein hinreichend schwerwiegender Fehler, um die zu Lasten des Arbeitgebers fallende de facto Kündigung des Arbeitsvertrags darzustellen. Dies hat zur Folge, dass diese Kündigung automatisch als unbegründet und nicht rechtmäßig zu betrachten ist und der Arbeitgeber damit schadenersatzpflichtig ist.
Praxistipp:
Diese Lösung kann mit einer früheren Entscheidung verglichen werden, nach der das Oberste Gericht in Frankreich der Ansicht war, dass der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Erfüllung des Arbeitsvertrags in gutem Glauben nicht nachgekommen sei, weil er den Arbeitnehmer nicht über eine Änderung seines Aufgabenbereichs ausdrücklich informierte und ihn somit dauerhaft in eine Situation der beruflichen Unsicherheit zurückgelassen habe (Entscheidung Nr. 08-45.537 vom 7. Juli 2010).
Es handelt sich also um eine Grundsatzposition der französischen Richter in Bezug auf die Vertragsverletzungen seitens des Arbeitgebers. In der Praxis müssen - analog zu den Situationen, in denen Arbeitnehmer in Frankreich ihre Arbeitsbedingungen kritisieren - alle Fragen oder Unsicherheiten, die sich auf die berufliche Zukunft und den genauen Umfang der den Arbeitnehmern obliegenden Aufgaben beziehen, vom Arbeitgeber ausdrücklich beantwortet werden. Lassen Sie eine solche Frage niemals ohne Antwort, andernfalls droht Schadensersatz.
13.02.2018