Erneuter Versuch einer Arbeitsrechtsreform in Frankreich
Während die Unternehmen seine Umsetzung kaum erwarten können, fühlen sich die Arbeitnehmer genötigt, ihren Unmut erneut auf den Straßen Frankreichs kund zu tun.1 Die Rede ist von dem derzeit geprüften Reformvorhaben des französischen Rechts, dem El Khomri-Gesetz.
Dieses soll der Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit und des Arbeitsmarktes dienen und nimmt Teile des im Sommer 2015 verabschiedeten Macron-Gesetzes auf, die damals nicht durchgesetzt werden konnten (siehe zu den Vorhaben laut MacronGesetz unsere Eilmeldung vom 11.08.2015).
Da soziale Unruhen insbesondere mit Blick auf die nächste Präsidentschaftswahl 2017 als wenig förderlich erachtet werden, wurde das seit Februar 2016 zur Debatte stehende Vorhaben inzwischen erneut überarbeitet.
Aktuell sind in Bezug auf das Arbeitsrecht folgende Gesetzesänderungen vorgesehen:
- Entschädigungsansprüche bei Kündigungen
Bisher sind Entschädigungsansprüche der Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht nicht gedeckelt. Es gibt keine allgemeinen Maßstäbe, an die sich die Arbeitsrichter zwangsweise halten müssen, wenn sie eine Kündigung für unbegründet erachten und den Arbeitgeber zur Zahlung von Schadensersatz verurteilen.
In der ursprünglichen Fassung des aktuellen Reformvorhabens war folgende Deckelung vorgesehen:
- Arbeitnehmer bis zu 2 Jahren Betriebszugehörigkeit: max. 3 Monatsgehälter
- Zwischen 2 und 5 Jahren: max. 6 Monatsgehälter
- Zwischen 5 und 10 Jahren: max. 9 Monatsgehälter
- Zwischen 10 und 20 Jahren: max. 12 Monatsgehälter
- Ab 20 Jahren: max. 15 Monatsgehälter
Infolge heftiger Debatten soll die Deckelung nunmehr allerdings nur noch ein Grundsatz bleiben und nicht verpflichtend sein. Demnach soll sie nach dem derzeitigen Entwurf einen Richtwert für die Richter darstellen, die über die Höhe der Entschädigung im Falle einer unbegründeten Kündigung zu entscheiden haben. Laut Premierminister Manuel Valls soll dies „eine Hilfe für die Arbeitsrichter, jedoch kein Halseisen“ sein.
- Begründung der betriebsbedingten Kündigung
Die betriebsbedingte Kündigung kann zurzeit auf folgende Gründe gestützt werden:
- Wirtschaftliche Schwierigkeiten (im gesamten Tätigkeitsbereich der Gruppe, dem die Gesellschaft angehört);
- Technologische Veränderungen;
- Eine notwendige Umstrukturierung, um die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Tätigkeitsbereichs der Gruppe, dem die Gesellschaft angehört, aufrechtzuerhalten;
- Die definitive und gänzliche Tätigkeitseinstellung, sofern sie nicht leichtfertig erfolgt.
Im Rahmen der geplanten Reform sollen die oben genannten Gründe dieselben bleiben, allerdings sollen folgende – bereits in der Praxis angewandte und damit zukünftig gesetzlich verankerte – Umstände zu einer automatischen Anerkennung des Vorliegens wirtschaftlicher Schwierigkeiten führen:
- Die Aufträge oder der Umsatz gehen binnen mehreren aufeinanderfolgenden Quartalen (mind. 2) im Vergleich zur selben Zeitspanne wie im vorherigen Betriebsjahr zurück,
- Betriebsverluste sind in mehreren aufeinander folgenden Monaten (mind. 1 Quartal) festzustellen,
- Eine gravierende Verschlechterung des Cash-Flows ist festzustellen.
- Ermessensraum des Richters bei betriebsbedingten Kündigungen
Bisher gilt für Richter, dass sie die im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung vorgetragenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf Ebene der Firma überprüfen müssen.
Gehört die Firma einem Konzern an, so wird überprüft, ob diese Schwierigkeiten ebenfalls auf Ebene des Konzerns und des betroffenen Tätigkeitsbereichs vorliegen. Demnach reichen wirtschaftliche Schwierigkeiten auf Ebene der französischen Firma nicht unbedingt aus, um die Kündigung zu begründen, wenn der betroffene Tätigkeitsbereich auf Ebene des Konzerns selbst keine Schwierigkeiten kennt. Umgekehrt kann die Kündigung aber begründet sein, wenn die Firma in Frankreich Gewinne erzielt, der Tätigkeitsbereich jedoch auf Ebene des Konzerns defizitär ist.
Nach der ursprünglichen Fassung des aktuellen Reformvorhabens sollte sich die Prüfung auf Konzernebene nur noch auf die in Frankreich ansässigen Firmen beziehen, so dass ein Arbeitnehmer sich nicht mehr auf die finanzielle Gesundheit des Konzerns weltweit berufen könnte, um seine Kündigung anzufechten. Daraus folgt, dass lediglich die in Frankreich erlittenen und festgestellten finanziellen Schwierigkeiten in Betracht gezogen werden, was besonders für Konzerne relevant sein dürfte, die mehrere Firmen im Ausland, in Frankreich jedoch nur eine Firma haben.
Die Gewerkschaften fanden dies jedoch zu gefährlich, da ihrer Ansicht nach zu befürchten sei, dass Konzerne künstlich Verluste in den französischen Unternehmen anhäufen könnten, um somit nicht in das Blickfeld der Richter zu geraten.
Dieser Befürchtung wurde inzwischen Rechnung getragen, indem die Richter auch prüfen können sollen, ob die Konzerne die Verluste oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Frankreich nicht mit dem alleinigen Zweck aufgebaut haben, die Kündigung aus diesem Grunde durchführen zu können. An dem Prinzip der territorialen Trennung für die Prüfung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten wird derzeit festgehalten.
Praxistipp:
Die gesamte Reform, die auch weitere rechtliche und soziale Themen betrifft, wird von den Sozialpartnern weiterhin tiefgreifend debattiert. Die landesweite Mobilisierung vom 31. März ist wahrscheinlich nicht die letzte. Außerdem müsste die Reform durch das Parlament abgesegnet werden, so dass sich wahrscheinlich noch einiges bis zur endgültigen Verabschiedung des Gesetzestextes ändern wird.
Für die Praxis ist zu beachten, dass auf laufende Kündigungsverfahren zunächst die bisher geltenden Regeln anwendbar bleiben, wobei im Rahmen von laufenden streitigen Verfahren bereits auf die geplante Reform hingewiesen werden kann.
01.04.2016