Fahrtzeit von Vertriebsmitarbeitern in Frankreich doch Arbeitszeit?
Der französische Code du Travail stand bisher bezüglich der Einstufung der Fahrtzeiten mobiler Arbeitnehmer im Widerspruch mit der europäischen Rechtsprechung. Mit seiner Entscheidung vom 23. November 2022 revidiert der französische Kassationsgerichtshof jedoch seine Einschätzung und passt seine Rechtsprechung an.
Die Vorgeschichte
Der EuGH hat in einem Urteil vom 10. September 2015 entschieden, dass die Fahrtzeit bestimmter Mitarbeiterkategorien (v. a. mobile Arbeitnehmer) zwischen ihrem Wohnort und dem ersten und letzten Kundentermin als Arbeitszeit einzustufen ist.
Diese Rechtsprechung steht im Widerspruch zu der bisherigen Position des französischen Kassationsgerichtshofs, der diese Zeiträume eben nicht als Arbeitszeit einstuft>>. Mehr dazu in unserem damaligen Artikel Fahrtzeit = Arbeitszeit – Entscheidung des EuGH hat erhebliche Auswirkungen auf französische Arbeitsverträge>>.
Gem. der französischen Rechtsprechung wurden diese Fahrtzeiten bisher auch nicht bei der Berechnung von Überstunden und damit verbunden Zuschlägen und Ruhezeiten berücksichtigt, sondern führten lediglich zu finanziellen Entschädigungen oder Ausgleichsruhezeiten.
Diese besonders arbeitgeberfreundliche Bewertung hat nun leider für viele Unternehmen ein Ende.
Das Urteil des Kassationsgerichtshof vom 23. November 2022
Ein Vertriebsmitarbeiter macht vor Gericht seine Ansprüche auf Überstundenzahlungen für die Fahrtzeiten zwischen dem Wohnort und dem ersten und letzten Kundentermin geltend. Das Kassationsgericht ergreift diese Gelegenheit, um der Aufforderung des europäischen Gerichtshofs>> nachzukommen, die Definition von Arbeit- und Ruhezeit auf europäischer Ebene zu harmonisieren, und kommt zu dem folgenden Schluss:
Für Mitarbeiter ohne gewöhnlichen Arbeitsort gelten die Fahrten zwischen Wohnort und Standort des ersten und letzten Kunden als Arbeitszeit, sofern der mobile Arbeitnehmer dem Arbeitgeber während der Reisezeit zur Verfügung steht und:
(a) seine Anweisungen befolgen muss,
(b) ohne seinen persönlichen Interessen nachgehen zu können.
Der Arbeitnehmer hat folglich Anspruch auf die entsprechende Vergütung nach französischem Recht (v. a. Überstunden).
Erfüllt der reisende Arbeitnehmer die o. g. Bedingungen nicht, so hat er nur Anspruch auf die in Artikel L. 3121-4 des Code du Travail vorgesehene Gegenleistungen, da die beanspruchte Zeit als Reisezeit eingestuft wird.
Praxis-Tipps
Hier handelt es sich um eine Einzelfallbewertung. In der Angelegenheit, die beurteilt wurde, musste der Vertriebsmitarbeiter während seinen Fahrten mithilfe seines Diensthandys und der Freisprecheinrichtung, die in das ihm vom Unternehmen zur Verfügung gestellte Fahrzeug eingebaut war, in der Lage sein, Termine zu vereinbaren, seine verschiedenen Gesprächspartner – Kunden, Vertriebsleiter, Assistentinnen und Techniker – anzurufen und ihnen zu antworten.
Er begab sich nur gelegentlich zum Firmensitz, um seine Arbeit zu verrichten, und verfügte über einen Firmenwagen, um bei Kunden des Unternehmens in sieben Departements im Westen Frankreichs zu arbeiten, die weit von seinem Wohnort entfernt lagen.
Prüfen Sie, ob Ihr Modell dieser Beschreibung entspricht. Wenn ja sollte dringend nach einer vorteilhaften Gestaltung der Arbeitszeit gesucht werden, um die Zahlung von zahlreichen Überstunden zu vermeiden.
15.12.2022