Anspruch auf bezahlten Urlaub: Änderungen in der französischen Rechtsprechung
Durch eine Reihe von Urteilen vom 13. September 2023 (Revisionen n° 22-17.340, n° 22-17.638, n° 22-10.529 und n°22-14.043) hat der Kassationsgerichtshof eine Wendung in der Rechtsprechung zum bezahlten Urlaub vollzogen und entschieden, dass Arbeitnehmer, die krankgeschrieben sind, unabhängig von der Ursache, Anspruch auf bezahlten Urlaub haben.
Fokus auf diese Urteile und ihre Auswirkungen in der Praxis:
1. Urteil: Bezahlter Urlaub und nicht berufsbedingte Krankheit
Das Arbeitsgesetzbuch sieht eigentlich vor, dass ein Arbeitnehmer, der aufgrund einer nicht berufsbedingten Krankheit abwesend ist, während dieser Zeit keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub erwirbt.
Gemäß Artikel 31 Absatz 2 der europäischen Grundrechtscharta hat jedoch jeder Arbeitnehmer das Recht auf einen jährlichen bezahlten Urlaubsanspruch, und seit 2018 können sich Arbeitnehmer direkt auf diese europäische Bestimmung in nationalen Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber berufen.
In seinem Urteil vom 13. September 2023 stützt sich nun der Kassationsgerichtshof auf diese Regelung und hält fest, dass ein Arbeitnehmer, der krankgeschrieben ist, auch während seiner Abwesenheit weiterhin Anspruch auf bezahlten Urlaub erwirbt, unabhängig von der Ursache.
2. Urteil: Bezahlter Urlaub und Arbeitsunfall
Im zweiten Fall desselben Tages befasst sich der Kassationsgerichtshof mit dem Sonderfall eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsvertrag aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer beruflichen Krankheit ausgesetzt ist.
Das Arbeitsgesetzbuch betrachtet diese Abwesenheit zwar als Arbeitszeit für die Berechnung des Urlaubsanspruchs, allerdings im Rahmen von maximal einem Jahr.
Auch da entscheidet der Kassationsgerichtshof, dass diese Bestimmungen im Widerspruch zum Unionsrecht stehen, und wendet dieselbe Lösung an wie im ersten Fall.
Damit hat ein Arbeitnehmer, der aufgrund einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls abwesend ist, während seiner Abwesenheit uneingeschränkt Anspruch auf bezahlten Urlaub.
3. Urteil: Verjährung des Anspruchs auf bezahlten Urlaub
Weiter stellte sich am 13. September die Frage der Verjährung der Ansprüche.
Gemäß der Rechtsprechung des Kassationsgerichtshofs hat der Anspruch auf bezahlten Urlaub die Natur eines Gehalts und unterliegt daher einer dreijährigen Verjährungsfrist, die ab dem Ende des gesetzlichen oder vertraglichen Zeitraums startet, während dessen der bezahlte Urlaub genommen werden konnte.
In seiner Entscheidung vom 13. September 2023 geht der Kassationsgerichtshof weiter und unterlegt den Start der Verjährung der Voraussetzung, dass der Arbeitgeber nachweislich alles getan hat, um dem Arbeitnehmer die Inanspruchnahme seines Urlaubs effektiv zu ermöglichen.
Die Konsequenzen sind erheblich. In dem vorliegenden Fall beantragte die Arbeitnehmerin die Umqualifizierung ihrer Arbeitsbeziehung mit dem Unternehmen in ein Arbeitsverhältnis und forderte daher die Zahlung von bezahltem Urlaub für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses, d. h. für mehr als 10 Jahre. Ihr wurde Recht gegeben…
4. Urteil : Urlaub und Elternzeit
In einem letzten Urteil desselben Tages hat der Kassationsgerichtshof entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der nicht in der Lage war, den ihm vor seiner Elternzeit zustehenden bezahlten Urlaub zu nehmen, diesen auf die Zeit nach seiner Rückkehr übertragen kann. Es ist jedoch zu beachten, dass diese Lösung nur für den vor der Elternzeit erworbenen bezahlten Urlaub gilt: Da die Elternzeit eine freiwillige Abwesenheit ist, erwirbt der Arbeitnehmer während dieser Zeit der Aussetzung seines Arbeitsvertrags keinen Urlaubsanspruch.
Praxistipp:
- Auch wenn die französische Regierung sich den drastischen Folgen dieser Rechtsprechung bewusst ist und handeln will, sind diese Auswirkungen nicht aufzuhalten, oder wenn, nur begrenzt.
- Viele Unternehmen passen bereits ihre Lohnabrechnungs-Software an, um den Erwerb von Urlaubstagen während jeder Form von Krankschreibung zu berücksichtigen.
Um die Verjährung loszutreten, muss Ihr Unternehmen in der Lage sein, nachzuweisen, dass die Mitarbeitenden informiert und ermutigt wurden, ihren bezahlten Urlaub zu nehmen. Eine entsprechende jährliche Kommunikation kann hier Sinn machen.
NB: Die Rechtsprechung vom 13. September 2023 bezieht sich auf die finanzielle Abgeltung von Urlaubsansprüchen und gilt somit nur für gekündigte Arbeitsverträge.
Arbeitnehmer, die im bestehenden Arbeitsverhältnis sind, können keine finanziellen Ansprüche vor Gericht stellen, sie können lediglich eine Anpassung ihres erworbenen Urlaubsanspruchs im Unternehmen einfordern.
27.11.2023