Frankreich: Bösgläubigkeit des Arbeitgebers bei Erstellung des Sozialplans berechtigt Arbeitnehmende zu Entschädigungs- und Schadensersatzzahlung
Wenn der Arbeitgeber bei der Erstellung und Aushandlung des Sozialplans bösgläubig ist, macht er sich unter Umständen entschädigungs- und schadensersatzpflichtig: So kann die arbeitnehmerseitige Kündigung die rechtlichen Folgen einer unbegründeten, arbeitgeberseitigen Entlassung nach sich ziehen.
Vorab
Ein Sozialplan („plan de sauvegarde de l’emploi“, kurz „PSE“) muss in Frankreich in Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten zwingend erstellt werden, wenn die geplante Entlassung mindestens 10 Arbeitnehmende über einen Zeitraum von 30 Tagen betrifft. Der Sozialplan enthält Begleit- und Unterstützungsmaßnahmen für die Mitarbeitenden, damit sie insbesondere so schnell wie möglich eine neue berufliche Tätigkeit aufnehmen können.
Das Kündigungsprojekt inkl. Sozialplan kann in Frankreich auf zwei Arten ausgearbeitet werden:
- In Form einer Betriebsvereinbarung, die mit den Arbeitnehmervertretenden verhandelt und abgeschlossen wird;
- Durch ein einseitiges Dokument.
In beiden Fällen muss das Dokument von der Arbeitsaufsichtsbehörde genehmigt werden.
Der vorliegende Fall
Der französische Kassationshof hatte im Januar 2024 zu entscheiden, ob Pflichtverletzungen des Arbeitgebers bei der Erstellung des Sozialplans eine sogenannte „prise d’acte de la rupture aux torts de l‘employeur“ rechtfertigen können (also eine Umqualifizierung der arbeitnehmerseitigen Kündigung in eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines arbeitgeberseitigen Fehlverhaltens). Durch eine solche Umqualifizierung hat die zunächst arbeitnehmerseitige Kündigung die Folgen einer arbeitgeberseitigen ungerechtfertigten Kündigung.
Im vorliegenden Fall musste das Unternehmen aufgrund einer Restrukturierung einen Sozialplan zur Massenentlassung erstellen.
Nach gescheiterten Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretenden verfasste der Arbeitgeber das Kündigungsprojekt inkl. Sozialplan einseitig. Dieses Dokument wurde jedoch von der Arbeitsaufsichtsbehörde aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei der Sozialauswahl nicht genehmigt. Sowohl die Arbeitnehmervertretenden als auch die Aufsichtsbehörde hatten den Arbeitgeber bereits auf diese Unregelmäßigkeiten hingewiesen.
Später gelang es dem Arbeitgeber dann doch, eine Vereinbarung über den Sozialplan mit den Arbeitnehmervertretenden abzuschließen.
Aufgrund der langen Verfahrensdauer hatten sich einige Arbeitnehmende in der Zwischenzeit entschlossen, zu kündigen, um andere Arbeitsstellen anzutreten. Diese Arbeitnehmenden klagten, weil sie aus ihrer Sicht aufgrund des Fehlverhaltens des Arbeitgebers nicht von den Vorteilen des Sozialplans profitieren konnten. Sie waren schon in den zwei ersten Instanzen erfolgreich.
In der dritten und letzten Instanz bestätigte auch der Kassationshof das Urteil der Vorinstanz und warf dem Arbeitgeber mehrere Pflichtverletzungen vor:
- Zum einen habe er das Verfahren vorsätzlich erheblich verlängert, indem er die Hinweise der Arbeitnehmervertretenden und der Arbeitsaufsichtsbehörde ignorierte, was zur Ablehnung der Genehmigung des einseitig erstellten Kündigungsprojekts inkl. Sozialplan durch die Behörde führte.
- Zum anderen habe er viele Anfragen der Arbeitnehmenden zur Aussetzung ihrer Arbeitsverhältnisse bis zum Inkrafttreten des Sozialplanes abgelehnt und die Mitarbeitenden bezüglich des Sozialplanes im Unklaren gelassen, sodass diejenigen, die aufgrund der bereits längst angekündigten Massenentlassung eine neue Arbeitsstelle gesucht und gefunden hatten, gezwungen waren, zu kündigen. Hierdurch verloren sie den Anspruch auf die Begleitmaßnahmen des Sozialplans.
Wie der Kassationshof feststellte, waren diese Verstöße so schwerwiegend, dass die arbeitnehmerseitigen Kündigungen in eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines arbeitgeberseitigen Fehlverhaltens umzudeuten waren. Damit ziehen die arbeitnehmerseitigen Kündigungen die Rechtsfolgen einer unbegründeten Kündigung durch den Arbeitgeber nach sich: Der Arbeitgeber ist damit entschädigungs- und schadenersatzpflichtig.
Praxistipps
- Bei notwendigen Restrukturierungsmaßnahmen sollte das Projekt der Massenentlassung inkl. Sozialplan möglichst vollständig und rechtskonform sein, damit es ohne vermeidbare Verzögerungen genehmigt werden kann.
- Der Arbeitgeber sollte vorausschauend handeln und die Arbeitnehmenden bzw. die Arbeitnehmervertretenden hinreichend informieren, sodass Arbeitnehmende bei der Suche nach einer neuen Stelle frühzeitig Planungssicherheit erhalten.
- Bei größeren und zeitintensiveren Projekten empfiehlt es sich, im Sozialplan Maßnahmen vorzusehen, damit die Arbeitsverhältnisse bis zur Kündigung suspendiert werden können, wenn Arbeitnehmende neue Arbeitsstelle antreten möchten. Somit können die Mitarbeitenden eine neue Arbeitsstelle frühzeitig antreten und zugleich von den Vorteilen des Sozialplans profitieren.