Frankreich: Ghosting führt zur Beendigung des Arbeitsvertrags ohne Arbeitslosengeld
In naher Zukunft wird ein Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz verlässt und trotz Aufforderung seines Arbeitgeber weder zurückkehrt noch seine Abwesenheit begründet, so wahrgenommen, als hätte er selbst gekündigt. Er verliert somit seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.
„Forcierte Selbstentlassung“ vs. Kündigung
Bisher wirkte die nicht selten angewendete Strategie der durch grundlose Abwesenheit erzwungenen Kündigung: Demnach erschienen manche Arbeitnehmer einfach nicht mehr bei der Arbeit, der Arbeitgeber musste dennoch den Weg einer Kündigung gehen, um den Arbeitsvertrag zu beenden, was wiederum den Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht in Frage stellte. Ein Weg, der von vielen gegangen wurde, die das Unternehmen nicht ohne finanzielle Absicherung verlassen wollten, und/oder bei denen eine einvernehmliche Aufhebungsvereinbarung abgelehnt wurde.
Dieser Strategie soll nun das im letzten Dezember verabschiedete Loi „Marché du travail“ (Arbeitsmarktgesetz) ein Ende setzen.
Der entsprechende Artikel 4 wird zwar erst nach Veröffentlichung einer Verordnung in Kraft treten, dessen Einfluss wird sich aber bereits 2023 bemerkbar machen.
Ein unerlaubtes Verlassen des Arbeitsplatzes wird unter bestimmten Voraussetzungen als ein Kündigen vonseiten des Arbeitnehmers ausgelegt.
Nach den parlamentarischen Debatten und der Entscheidung des Verfassungsrats vom 15. Dezember 2022 würde allerdings ein absichtliches Verlassen des Arbeitsplatzes als nicht fehlerhaft gelten, wenn es u. a. aus einem der nachfolgenden Gründe erfolgt:
- Ausüben des Streikrechts
- Ausüben des Rückzugrechts
- Verweigerung der Ausführung von Anweisungen die der Reglementierung widersprechen
- Arbeitsverweigerung infolge einer einseitigen Änderung eines wesentlichen Bestandteils des Arbeitsvertrags
Der neue Artikel L. 1237-1-1 des Arbeitsgesetzes sieht vor, dass der Arbeitgeber den abwesenden Arbeitnehmer per Einschreiben oder mittels eigenhändiger Übergabe dazu auffordern muss, seine Abwesenheit zu rechtfertigen und die Arbeit innerhalb einer bestimmten Frist (deren Mindestdauer in der noch zu verabschiedenden Verordnung festgelegt wird) wieder aufzunehmen. Wenn der Arbeitnehmer nach Ablauf der Frist seine Arbeit nicht wieder aufgenommen hat, kann davon ausgegangen werden, dass er gekündigt hat.
Da es sich hier allerdings um eine widerlegbare Rechtsvermutung handelt, kann sie vom Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht angefochten werden. Hier muss er dann seine Abwesenheit vom Arbeitsplatz als unfreiwillig und begründet rechtfertigen können.
Risiken eines Gerichtsverfahrens für den Arbeitgeber
Entscheidet das Gericht zugunsten des Mitarbeiters, so wird die Beendigung seines Vertrags als unbegründete Kündigung seitens des Arbeitgebers betrachtet. Dies führt wiederum zu finanziellen Ansprüchen: Zahlung der Kündigungsentschädigung, der Gehälter während der Kündigungsfrist und des damit verbundenen Urlaubsabgeltungsanspruchs sowie Schadensersatz wegen unbegründeter Kündigung.
Praxistipps
- Diese neue Regelung ist für den Arbeitgeber nicht risikofrei und sollte nur in eindeutigen Angelegenheiten genutzt werden.
- Das Gesetz sieht keine Sanktionen für den Fall vor, dass der Arbeitgeber die neuen Bestimmungen nicht anwendet. Es ist daher fraglich, ob das Gesetz wirklich so gemeint ist, dass es angewendet werden soll, oder ob es nur darauf abzielt, Arbeitnehmer abzuschrecken, die versuchen würden, „sich selbst“ zu kündigen.